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Der Spiegel der Königin

Der Spiegel der Königin

Titel: Der Spiegel der Königin
Autoren: balzon
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Frost in ihrem Genick. Statt den Brief anzunehmen, klammerte sie sich an den Weinbecher und schüttelte krampfhaft den Kopf.
    »Nein, bitte«, brachte sie schließlich mit kläglicher Stimme heraus. »Ich kann nicht. Würden … Sie ihn mir vorlesen ? «
    Madame Chanut zog eine Augenbraue hoch, doch dann öffnete sie das Schreiben und faltete es auseinander. In ihrem m elodiösen Französisch begann sie zu lesen. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie den Sinn der Worte erhaschte, bevor sie den Satz ausgesprochen hatte:
     
    »Meine liebe Tochter,
    s icher hast Du von dem Schicksalsschlag gehört, der vor k urzem unsere Familie erschütterte. Längst sind noch n icht alle Angelegenheiten geordnet, aber wir blicken t rotz aller Trauer vertrauensvoll in die Z u kunft. Ich f reue mich darauf, Dich bald in die Arme zu schließen u nd in unser Heim aufzunehmen.
    Herzlichst,
    Charlotte de Vaincourt«
     
     
    D ie Stille, die auf diese Worte folgte, dröhnte in Elins Ohren. Madame Chanut kniff die Augen zusammen und ließ den Blick zum Ende des Briefs schweifen.
    »Oh – ich sehe gerade: Henri hat auch noch eine Notiz hinzugefügt: › Genüg t das als Beweis, Küchenkönigin? ‹ «
    Sie ließ das Blatt sinken und betrachtete Elin amüsiert.
    »Und?«, fragte sie. »Genügt es?«
    »Er hat nicht geheiratet«, flüsterte Elin.
    »Nein, geheiratet hat er nicht«, bestätigte Madame Chanut. »Aber ich denke, es ist eindeutig, dass er es noch vorhat. Wie ich hörte, befindet er sich bereits auf dem Weg nach Stockholm.«
    Elin schluckte und starrte gedankenverloren in ihren Weinbecher. Tausend Nächte, so schien es ihr, hatte sie davon geträumt, aber jetzt fühlte sie nur eine seltsame Erleichterung.
    In der roten Flüssigkeit spiegelte sich ihr Gesicht. Krank sah es aus, und unendlich müde.
    »Der Wein!«, rief sie plötzlich. Der Gedanke blitzte so abrupt auf, dass er Henri und den Brief für einen Moment beiseite wischte. Im nächsten Augenblick rannte sie an der verdutzten Madame Chanut vorbei zur Treppe. De s cartes war aufgewacht und litt schreckliche Qualen. Er hatte sich erbrochen. Klumpen von schwarz verfärbtem Blut tränkten die Decke, schwarzer Speichel rann ihm aus dem Mund. Er atmete unregelmäßig und sein Blick irrte hektisch hin und her.
    Johann van Wullen stand mit hängenden Schultern an seinem Bett. Ohne auf die Gebote der Höflichkeit zu ac h ten, stürzte Elin zu ihm und zog ihn am Ärmel zum Fen s ter.
    »Es ist der Wein«, flüsterte sie. »Er ist vergiftet! Ge s tern hat er welchen getrunken – er wurde ihm in einem Becher gebracht, der unten zubereitet wurde und dort stand, wo alle Gäste ihn erreichen konnten. Vermutlich bekommt er das Gift schon seil einigen Tagen vera b reicht.«
    Der Leibarzt zog die Brauen zusammen, bis sie sich über seiner Nasenwurzel berührten.
    »Was sagen Sie dazu?«, flüsterte sie. Van Wullen blinzelte nicht einmal, als er ihr die Antwort gab.
    »Ich habe den Patienten aufgegeben«, sagte er sehr sachlich. »Seine Schmerzen kann ich versuchen zu li n dern, ansonsten halte ich meine Hand von ihm fern.« Seine Stimme wurde leiser und bekam einen warnenden Unterton. »Und wenn Sie klug sind, Fräulein Elin, dann lassen Sie einen solchen ungeheuren Verdacht nicht ve r lautbaren. Eine Vergiftung lässt sich nicht beweisen.«
    Fassungslos starrte Elin ihn an.
    »Aber sehen Sie ihn sich doch an!«, beharrte sie. Der Arzt war blass geworden und sah mit einem Mal sehr erschöpft aus. Elin hatte einen bitteren Geschmack im Mund. Es schnürte ihr die Kehle zu, auszusprechen, was ihr endlich klar wurde.
    »Sie wissen es längst.«
    »Manchmal weiß oder vermutet ein Arzt einiges, aber aus Gründen der Staatsräson muss er Stillschweigen b e wahren. Vor allem, wenn es sich um bloße Vermutungen handelt.«
    Van Wullen wandte sich brüsk ab, packte seine I n strumente ein und verließ das Zimmer. Elin blieb zurück – gefangen im Chaos ihrer eigenen Geschichte und mit Monsieur Descartes ’ Leben, das ihr durch die Finger rann. Sobald sie Descartes ’ Leibburschen damit beau f tragt hatte, neues Feuerholz und frische Tücher zu holen, kniete Elin sich neben das Bett und zwang den Philos o phen sie anzuschauen.
    »Monsieur Descartes! Verstehen Sie mich ? «
    Schwach nickte er.
    »Gut. Hören Sie mir genau zu. Ich habe den Verdacht, dass jemand versucht Sie zu vergiften. Ab heute nehmen Sie nur noch den Wein zu sich, den ich Ihnen bringe. Und ebenso ist es mit dem Wasser,
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