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Der Spiegel der Königin

Der Spiegel der Königin

Titel: Der Spiegel der Königin
Autoren: balzon
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einem Buch und seufzte. »Der alte Marquis ist gestorben«, sagte sie. »Vor einem Monat bereits. Es tut mir sehr Leid um den Ha u degen – er war zwar nicht der netteste Mensch, aber s i cher einer der besten Strategen, die ich kannte. Ich dac h te, es interessiert dich vielleicht.«
    »Sie irren sich, Kristina«, sagte Elin leise. »In erster Linie interessiert mich nicht meine Vergangenheit, so n dern Herrn Descartes ’ Zukunft.«
     
    In dem Maß, in dem Monsieur Chanut genas, verschli m merte sich Descartes ’ Zustand. Nach der langen Bewuss t losigkeit war er nun hellwach und unruhig, sein Blick irrte umher. Elin tat dieser Anblick im Herzen weh. I n nerhalb weniger Tage war er entsetzlich abgemagert und hatte sich von dem stolzen Philosophen in einen störr i schen alten Mann verwandelt, der unendlich litt. Van Wullen, der mit Elin den Kranken besuchte, warf einen kurzen Blick auf ihn und runzelte die Stirn. Entschlossen stellte er seinen Koffer auf de m Tisch ab. Skalpelle und Rippenheber klirrten. Descarte setzte sich mühsam im Bett auf. Seine Augen waren fiebrig und gerötet.
    »Kein Aderlass«, befahl er mit schwacher Stimme. »Schonen Sie französisches Blut!« Und zu Elin gewandt flüsterte er matt: »Wenn ich schon sterben muss, dann bitte ohne einen Arzt in meiner Nähe.« Van Wullen wu r de blass, aber er ließ sich seine Wut nicht anmerken.
    »Sie werden nicht sterben«, erwiderte Elin.
    Descartes ließ sich zurück in die Kissen sinken und schloss die Augen. Seine Stimme sank zu einem Flüstern herab.
    »Ich möchte noch ein oder zwei Tage abwarten, um die Krankheit auszubrüten. Meist kommt die Krisis nach sechs Tagen – und wenn ich sie überwunden habe, wird es besser.«
    Aber es wurde nicht besser, im Gegenteil! Descartes ’ Zustand verschlechterte sich in den nächsten Tagen rap i de. Ein plötzliches Fieber schüttelte ihn so stark, dass Elin kaum wagte, ihn alleine zu lassen, um in ihren Au f zeichnungen und Büchern nach dem Grund dieser Krankheit zu forschen. Sie verlief ganz anders als die Lungenentzündung, die Monsieur Chanut inzwischen überwunden hatte. Der Philosoph klagte über Schwindel, sein Blick war so unstet, dass er nirgendwo mehr Halt fand. Erst am siebten Tag ließ er es zu, zur Ader gelassen zu werden, eine Behandlung, die Elin mit gemischten Gefühlen verfolgte. Monsieur Tervué erkundigte sich mehrfach nach Descartes ’ Gesundheitszustand. Und auch die anderen Gelehrten, darunter der Mathematiker Björn Strat und sogar der lutherische Theologe Kasimir Bielke, machten Monsieur Chanut ihre Aufwartung. Elin be o bachtete die Gelehrten mit Unbehagen. Wie eine Horde von Krähen schienen sie über dem Lager ihres Konku r renten zu kreisen. Die Spannung, die über dem Haus lag, wurde immer unerträglicher. Streit wallte auf, kaum eine Stunde verging ohne Diskussionen und Dispute.
    Elin zog sich so oft wie möglich aus dem Empfang s zimmer zurück. Mit der Erlaubnis von Monsieur Chanut setzte sie sich in dessen Arbeitszimmer, wo sie manc h mal nichts anderes tat, als den Kopf in die Hände zu stü t zen und die Augen zu schließen, bis ihre wirbelnden G e danken ein wenig zur Ruhe kamen.
    An einem dieser chaotischen Tage klopfte ein Bote an die Tür und übergab Madame Chanut einen Brief. Elin, die nach einer langen Nacht an Descartes ’ Krankenbett gerade in einem Sessel ausruhte, blickte von ihrem B e cher mit heißem Wein auf. Seit Henris Abreise hatte M a dame Chanut sicher schon vier Briefe von der Familie de Vaincourt erhalten, aber Elin hatte nie zu fragen gewagt, was darin stand. Dieser hier war erstaunlich dick und Elin sackte schon bei seinem Anblick das Herz in den Bauch.
    Diesmal öffnete Madame Chanut das Schreiben in Elins Gegenwart. Ein kleinerer Brief rutschte heraus, den Madame Chanut gerade noch auffangen konnte, bevor er zu Boden fiel. Mit gerunzelter Stirn las sie das größere Schreiben. Für Elin dehnten sich diese Minuten zu einer Ewigkeit. Sie wusste, dass sie heute fragen würde – gleichgültig, ob die Nachricht von Henris Hochzeit ihr das Herz brach. Alles war besser als die Ungewissheit! Endlich hob Madame Chanut den Blick. Elin wusste nicht, ob es ein wissendes oder mitleidiges Lächeln war, das um die Lippen der Diplomatenfrau spielte.
    »Für Sie, Elin!« Die F ra n zösin streckte ihr den klein e ren Brief, der noch versiegelt war, entgegen.
    Da war es – das kalte Fieber. Es ergriff Elin von einem Moment zum anderen, Eis in ihrer Kehle,
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