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Der Sonntagsmonat

Der Sonntagsmonat

Titel: Der Sonntagsmonat
Autoren: John Updike
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Ofens hielt er Sie an, dort auf dem verwirrenden breiten, von Bars, Läden für Ranch-Bedarf und Postkartenständern mit Canon-Ansichten gesäumten Gehsteig, während Sie mit Hilfe Ihrer fahrigen Begleiterin gerade versuchten, Ihre lärmende, rosige, auffallende Meute unvollkommener Geistlicher zum Bus zurückzuführen. Es war ungeheuer aufregend für uns, draußen zu sein, in einem Dorf am Highway, das wie eine richtige Stadt aussah, wo Lieferwagen von Aktivität und Landwirtschaft zeugten und wo, gänzlich unpassend, verblichene, trocken knisternde Weihnachtsgirlanden die heißen Laternenpfähle zierten. Unser aufgeregtes Lärmen hatte den Eingeborenen aufgestört, war in seine Entrücktheit gedrungen und hatte ihn bewogen, Staub aufwirbelnd vorwärtszutaumeln in seinem schmutzigen schwarzen Anzug. Es war, als wären Sie in Ihrem mausgrauen Leinenkleid plötzlich ein Schatten geworden. Wir blieben stehen, verwirrt, verstummt. Von hinten kommend, schritt Mrs. Givingly auf die vorderste Linie zu, vor sich hinglucksend und betont geschäftig. Aber mit einer göttlich brüsken, ausladenden Handbewegung geboten Sie uns Einhalt und neigten den Kopf – und strichen dabei mit allzu straffer Hand das Haar auf jener Kopfseite zurück –, um dem undeutlichen Gemurmel des Indianers Ihr Ohr zu leihen. Wahrhaftig, war nicht seine Trunksucht ein ständiges Emportasten durch Feuerwasser hindurch zu Ekstase und Wahrheit (denn kein anderes Volk wird so hemmungslos betrunken wie dieses), und war sie daher nicht auch eine der amerikanischen religiösen Dislokationen, die zu reparieren Ihre Aufgabe ist? Er torkelte in der unnachahmlichen Art betrunkener Indianer, ein anmutiges Wanken, dem ein Hauch von Bedrohlichkeit anhaftet, und deutete die ganze Zeit auf etwas, während er Ihnen ins Ohr babbelte. Er zeigte auf Woody – aus reaktionärem Stolz trug Woody Priesterkragen und Beffchen, während wir anderen alle Sporthemden anhatten. Der Indianer stieß sich daran oder interessierte sich dafür, und Sie, zur Bekräftigung Ihrer in klarem Englisch vorgebrachten Erklärung, legten die Hände wie zum Gebet aneinander, um einen heiligen Mann zu mimen, und machten dann eine uns alle umschließende Gebärde. Der Indianer verstand; er sah zum Himmel auf, er lachte, und seine Knie beugten sich plötzlich, und Sie streckten die Hand aus, um sie unter seinen Ellbogen zu legen. Und ich, der ich dabeistand und zusah, fühlte mit Ihnen Ihr vorausempfindendes Wimpernzucken, Ihren Wunsch, ihn zur Seite zu ziehen, damit Ihre Schutzbefohlenen in den Bus einsteigen könnten, Ihren tiefen Wunsch, diesem Indianer – Ihrem Landsmann hier im Wilden Westen – ein wenig Würde zu belassen. Oh, ich bewegte mich durch Sie, verstand all dies und noch anderes mehr, und es kam mir in den Sinn, daß Liebe nicht eine Emotion ist, nicht ein anmaßendes Herausstellen, sondern eine Trans-motion, ein willfähriges Sich-Hin-durch-bewegen.
    Ich sah durch Sie, mit Ihnen, Ms. Prynne, bei Ihrer Straßenseelsorge, jenen in der Sonne gefangenen Schatten mit seinen vom Trinken geschlitzten Katzenaugen und wage es daher, Sie als mein eigen zu beanspruchen. Da mein Ende naht, wird alles nebelhaft, meine Zukunft und meine Vergangenheit sind eine einzige grüne Wolke, und nur Sie haben Festigkeit, nur Sie haben Substanz. Ich falle auf Sie zu, wie ein Meteorit der Erde, wie ein Komet der Sonne entgegenstürzt.
    Sie, die Sie freundlich waren zu einem betrunkenen Indianer, seien Sie freundlich zu mir, einer armen protestantischen Wespe, angestachelt von der neuen Arbeitsmoral vom ausreichenden Sex: Sex als das äußere Zeichen innerer Gnade, Sex als die letzte Freistatt für Gewalt, Eroberung und Verzückung in einer Welt, die so überfüllt ist mit gefügigen Menschen wie ein nach der Mittagszeit aufwärts gleitender Fahrstuhl.
     
    Als ich gestern nachmittag um fünf auf der Toilette saß (neunzig Golfschläge haben eine begrüßenswert lockernde Wirkung auf den Darm – eine zweite Lieferung wird produziert, beschaulicher als die drängende und vergiftete morgendliche Ausgabe), kam mir der Gedanke, daß mein Verhältnis zu meiner Gehilfin Jane mit seiner hartnäckigen Verquickung von Ebenbildlichkeit und barmherziger Güte ganz in den Bereich der guten Werke gehört, und Arbeit ohne Glauben ist Verstopfung. Ich muß aufhören, so meinte ich, während meine glücklich knurrenden Därme ihren scheinbar endlosen Entleerungsprozeß fortsetzten, ich muß aufhören, das Leben
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