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Der Sommernachtsball

Der Sommernachtsball

Titel: Der Sommernachtsball
Autoren: Stella Gibbons
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andererseits zutiefst befriedigt und zum ersten Mal vollkommen in Atem hält, mehr als sie es sich je hätte träumen lassen. Von allen Leuten in unserer Geschichte, die einem unglücklichen Leben entfliehen konnten, hat sie als Einzige Ekstase gefunden. Der Grund dafür ist, dass sie als Einzige dazu fähig ist.
    Wenn Ekstase bedeutet, das Leben bis zum Letzten auszukosten, dann tut sie das und weiß es auch. Vage fühlt sie, dass die Erfahrungen, die sie jetzt macht, sie für den Rest ihres Lebens prägen werden. Eines Tages wird sie denken, dass es das wert war, doch im Moment ist es einfach nur quälend und unentrinnbar und könnte in einer Katastrophe enden. Zum ersten Mal in ihrem Leben muss sie all ihre Reserviertheit, ihre ganze halb-poetische, halb-skeptische Natur aufbieten, um damit fertigzuwerden, und tut das auch.
    Denn zwischen Hetty und Donat Mulqueen ist es zu einer bitteren, quälenden und komplizierten Liebesbeziehung gekommen, einer Affäre, wie man sie keinem wünschen kann. Hetty, die sich noch ein klein wenig Vernunft und Distanz bewahrt hat, denkt manchmal, was für ein erbärmliches Paar sie beide doch abgeben, wenn sie über die Hampstead Heath oder über die Charlotte Street zum Pub schlendern: ein schlampiges, dickliches, blasses Mädchen und ein hagerer, schwarzhaariger junger Gigant, der in dreckigen Lumpen herumläuft (sie hat es aufgegeben, ihn dazu anzuhalten sich zu waschen, ja, selbst nie die Sauberste, wäscht auch sie sich jetzt kaum noch), mit schlappenden Sohlen und Löchern in den Schuhen. Ein grässlicher Husten schüttelt seinen hageren Körper, der nur halb übertrieben, halb erschreckend echt ist. Er hat riesige, dicht bewimperte graue Augen und einen schönen, sensiblen Mund, so wie man ihn oft bei Dichtern sieht. Wo immer er hinkommt, wird er angestarrt. Er tut so, als ob er das hasst, aber in Wahrheit liebt er es, Aufmerksamkeit zu erregen, und verachtet sich dafür.
    Er verachtet sich auch dafür, Hetty zu brauchen. Wenn sie sich lieben, dann wie knurrende Hunde, ohne jede Zärtlichkeit, mit schonungsloser Offenheit und rückhaltloser Lust. Hetty, deren Sanftmütigkeit schon immer eher auf eingedrillten Manieren beruhte, nicht auf einem natürlichen Charakterzug, verliert rapide auch das, was davon noch übrig ist. Und weil er vor jeder Art von Zärtlichkeit geradezu zurückschreckt, verschließt sie diese Gefühle tief in ihrem Innern. Sein Leben ist ein einziger quälender Versuch sich zu verhärten. Er hat sich von seiner Familie losgesagt. Er ist Kommunist, und er ist vierundzwanzig Jahre alt.
    Was ist los mit ihm? Das weiß er selbst nicht, und Hetty weiß es ebenso wenig. Sie kann ihn nicht dazu bewegen, über sich selbst zu sprechen. Die wenigen Einblicke, die sie in sein Inneres erhascht, erschrecken sie. Es scheint nichts darin zu geben als Grimm und Grauen. Nie wird sie vergessen, wie sie einmal oben in einem Doppeldeckerbus saßen und nach Richmond fuhren und sie, nach langem Schweigen, bemerkte, wie schön diese Zweige im Schein einer Straßenlampe aussähen, und er sich halb zu ihr hindrehte und sie anzischte: »Halt’s Maul«, mit einer Stimme, die sie in Verzweiflung und eine merkwürdige Beschämung stürzte.
    Trotzdem hat er (so seltsam ist die menschliche Natur) viele Freunde. Hetty, die feststellen muss, dass sie zu einer geradezu erniedrigend starken Eifersucht fähig ist, erfährt von ihnen, mit der Unverblümtheit, die in ihren Kreisen modisch ist, dass sie »Donats erste Frau« sei, dass er bis dato offenbar einen »Horror vor Sex« gehabt habe, zusätzlich zu seinen anderen Phobien, und dass sie, Hetty, ihn davon kuriert habe. Alle seine Freunde (so nett, wie menschliche Wesen nur sein können, die meisten allerdings zutiefst unglücklich, höchst unzivilisiert, unermüdliche Trinker und unermüdliche Redner) gratulieren ihr zu dieser Leistung, aber sie empfindet nichts, außer die Besessenheit, ihm zu dienen, damit er nur weiter Gedichte schreibt, und ihm so viel Geld zu leihen (oder besser zu schenken), wie sie kann, damit er weiter dichtet.
    Die Mansardenkammer in Bloomsbury, mit dem Blick über Dächer und Kamine, dem dampfenden Kaffee und einer zufrieden lesenden Hetty, bleibt Illusion. Nachdem sie es einen Monat lang bei Tante Rose ausgehalten hat, zieht sie kurzerhand in ein schmutziges, verwanztes Dachzimmer neben Donat, in einem alten, heruntergekommenen Haus in einer der Gassen hinter dem Leicester Square, und dort haust sie
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