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Der Sommernachtsball

Der Sommernachtsball

Titel: Der Sommernachtsball
Autoren: Stella Gibbons
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ohnehin so dünn. Weiß nicht, warum du überhaupt abnehmen willst; siehst richtig verhungert aus.«
    »Das hängt doch davon ab, wie man sich fühlt, oder? Und ich fühle mich um Meilen besser, als …«
    »Um Meilen ? Wie kannst du dich um Meilen besser fühlen?«, ließ sich Mr Wither vernehmen. Er legte die Morning Post beiseite und starrte seine jüngere Tochter streng an. »Eine Meile ist ein Längenmaß. Damit kann man nicht einen menschlichen Zustand beschreiben. Man kann sich merklich besser fühlen. Oder beträchtlich. Oder … nun ja. Aber jedenfalls nicht um Meilen besser. Das ist ganz und gar unmöglich.«
    »Also, äh …« Tina rieb raschelnd ihre trockenen Hände, die sie in den Schoß gelegt hatte. Sie lächelte zittrig. »Dann fühle ich mich eben beträchtlich besser, seit ich mit der Brash-Diät angefangen habe.«
    Ihr Lächeln enthüllte unregelmäßige Zähne, ließ aber ihr Gesicht entspannter und jünger erscheinen.
    »Also, ich kann nur sagen, sie sieht nicht gut aus. Was meinst du, Vater?«
    Schweigen. Die Amsel zwitscherte einmal laut und süß und flog dann davon.
    »Was hast du heute vor, Liebes? Willst du Golf spielen?«, wandte sich Mrs Wither in gedämpftem Ton an ihre ältere Tochter. Madge, die gerade den Mund voll hatte, nickte nur.
    »Und wirst du zum Lunch hier sein?«, hakte ihre Mutter behutsam nach.
    »Kommt drauf an.«
    »Du musst doch wissen, ob du zum Lunch hier sein wirst oder nicht, Madge«, mischte sich Mr Wither ein, der im Wirtschaftsteil soeben etwas gelesen hatte, das seine Tage, die nie sonderlich hell waren, verdunkelte. »Kannst du deiner Mutter denn nicht sagen, ob du nun kommst oder nicht?«
    »Leider nein, Vater«, antwortete Madge fest und wischte sich den Mund ab. »Reich mir doch mal den Sportteil, falls er frei ist.«
    Mr Wither nahm den Sportteil heraus und reichte ihn stumm herüber. Der Rest der Zeitung segelte trübe zu Boden.
    Alle schwiegen. Die Amsel tauchte wieder auf.
    Eine schwere, schwarzlila Wolke hing nun über Mr Withers Gemüt. Bevor er den Artikel im Wirtschaftsteil las, war er so wie immer gewesen, beim Frühstück. Oder beim Mittag- oder Abendessen. Aber jetzt (so dachten Mrs Wither und Madge und Tina) machte sich Vater Sorgen . Und das würde den ganzen restlichen Tag überschatten.
    Mr Withers Hauptsorge galt natürlich seinem Geld, von dem ihm etwa 2800 Pfund pro Jahr zur Verfügung standen: Zinsen aus einem hübschen Vermögen, das ihm sein Vater hinterlassen hatte. Es stammte aus einem Mitte des 19. Jahrhunderts gegründeten Gasunternehmen, bei dem der verstorbene Mr Wither die Aktienmehrheit innegehabt hatte.
    Der jüngere Mr Wither, der so gut wie nichts von Gas verstand, aber eine Menge davon, wie man Leute herumkommandiert und seinen Willen durchsetzt, hatte das Unternehmen während seines aktiven Berufslebens mit einigem Erfolg weitergeführt. Mit fünfundsechzig (vor fünf Jahren) hatte er die Firma schließlich verkauft, den Erlös angelegt und sich zur Ruhe gesetzt. Seinen Ruhestand genoss er nun auf »The Eagles«, seinem Anwesen unweit von Chesterbourne in Essex, wo er schon die dreißig Jahre zuvor gelebt hatte.
    Mr Withers Investitionen waren so sicher, wie Investitionen in dieser Welt eben sein können; aber das war nicht sicher genug für Mr Wither. Er wollte, dass sie ganz sicher waren, allzeit produktiv, solide wie ein Fels und verlässlich wie der Einbruch der Nacht.
    Aber es nützte nichts: Sie gingen rauf und runter, beeinflusst durch Kriege, Geburten, Abdankungen und Flughäfen. Er konnte nie sicher sein, was sein Geld jetzt wieder anstellen würde. Nachts wachte er auf und lag im Dunkeln und fragte sich, was wohl gerade mit seinem Geld geschah. Und tagsüber durchforstete er unbehaglich die Spalten des Wirtschaftsteils.
    Er war kein Geizhals (sagte er sich), aber er hasste es nun mal, gutes Geld verschwendet zu sehen. Er bekam Magenschmerzen, wenn er ohne einen wirklich guten Grund Geld ausgeben musste. Geld war schließlich nicht zum Ausgeben da. Geld war da, um GESPART zu werden. Dafür war es uns gegeben worden .
    Verzweifelt starrte er in seine schwammigen Frühstücksflocken und dachte an all das schöne Geld, das man ihm aus dem Kreuz geleiert hatte. Wie er es gehasst hatte, all die Schul- und Studiengebühren für seine Töchter zu bezahlen, in den zehn Jahren, in denen sie eine berufliche Laufbahn angestrebt hatten. Hunderte von Pfund, alles zum Fenster hinausgeworfen. Gutes Geld für nichts und wieder
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