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Der Sommernachtsball

Der Sommernachtsball

Titel: Der Sommernachtsball
Autoren: Stella Gibbons
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sagt: »Ja, ich habe sie mal ganz gut gekannt.« Phyllis kommt seit dem Streit nie mehr nach Grassmere zu Besuch; sie und Mrs Spring telefonieren ab und zu noch miteinander, aber irgendwie ergibt es sich nie, dass sie mal Zeit für einen Besuch hat. In Wirklichkeit will sie Viola aus dem Weg gehen. Phyllis ist ziemlich verbittert, wenn sie an Viola denkt. Irgendwas muss sich da zwischen ihr und Victor abgespielt haben, während er mit ihr, Phyllis, verlobt war. Gerissenes kleines Biest, denkt Phyllis. Unsportlich. Ordinär.
    Auch Victor gegenüber hegt Phyllis bittere Gedanken. Er hatte schließlich die Chance gehabt, sie zu heiraten, und hat sie sausen lassen, ohne auch nur einen zweiten Versuch zu unternehmen. Sie mag seine männliche Eitelkeit verletzt haben, aber er hat ihren Stolz mindestens ebenso tief getroffen. Es dauert ganze zwei Jahre, bis sie sich davon wieder erholt. Erst als sie einen ehrgeizigen, intelligenten jungen Parlamentsabgeordneten kennenlernt und ihn heiratet, ist Phyllis’ Selbstbewusstsein wiederhergestellt. Ihr Eheleben ist mehr als ausgefüllt mit (teuren) sportlichen und gesellschaftlichen Aktivitäten, die sämtlich ziemlich gewöhnlich sind. Ihr Politikergatte teilt ihre Ansichten, was das Kinderkriegen betrifft, und so kann sie ihre bewundernswerte Figur behalten. Noch schöner wäre es natürlich, wenn man mehr Geld hätte; eine weitere dicke Fliege in der Suppe ist Anthea, die mit über vierzig Jahren Männern, Alkohol, Pillen und dem Spiritismus verfällt. Selbst Phyllis’ unverwüstliche Vitalität beginnt gelegentlich unter dem Tempo zu leiden, mit dem sie sich antreibt. Nur ihre unerschütterliche Überzeugung, wie wichtig all ihre Aktivitäten sind, hält sie davon ab, gelegentlich Depressionen zu bekommen. Wenn sie und ihr Abgeordneter morgens um fünf von einer Party heimkommen, bemerkt sie doch ab und zu, dass das Leben ganz anders sei, als sie es sich als Kind vorgestellt habe. Aber der Abgeordnete ist zu müde, um zu fragen, was sie damit meint, und selbst wenn er gefragt hätte, sie hätte es ihm nicht erklären können, weil sie es selbst nicht so recht weiß.
    Miss Cattyman dagegen weiß noch alles. Von klein auf war sie davon überzeugt gewesen, dass gleich etwas Aufregendes passieren wird, und bis heute ist sie nicht enttäuscht worden. Da war zum Beispiel Mr Buttrick, der im Laden einen Herzanfall gekriegt hat und tot über die Theke mit den Korsetts und den Liberty-Leibchen gekippt ist, oder als Mrs Woods in Mr Casements Kutsche im Galopp ins Krankenhaus gebracht werden musste, wo sie sofort am Blinddarm operiert worden war, genau wie König Edward (das war 1907, Vi, daran kannst du dich natürlich nicht mehr erinnern), und als dein lieber, lieber Vater in der Ladentür stand und zusah, wie der erste Eismann mit seinem Wägelchen durch die Chesterbourne High Street kam und er ihm gewunken hat und uns Mädchen (nun ja, uns Frauen) jeder ein Eis spendiert hat, und dann die arme Miss Miller und dieser schreckliche, brutale Mann, und als sie uns ans Elektrische angeschlossen haben und wie es in der ersten Zeit andauernd ausgefallen ist …
    Aufregend ist es auch, wenn man erst mit fast siebzig den glücklichsten Moment seines Lebens erleben darf: Denn der heutige Tag, die geschmückte Kirche, all die Blüten (für Miss Cattyman sind Blumen immer »Blüten«), all die vielen Menschen, all die vertrauten Gesichter, dieser stoffige Duft von guter Kleidung, die teuren Parfüms, die Orgelmusik, das Geraschel und Gewisper, all das ist zweifelsohne der Höhepunkt in Miss Cattymans ohnehin schon an Höhepunkten reichem Leben. Howard Thompsons Tochter heiratet einen jungen, reichen, attraktiven und flotten Mann, was umso aufregender ist, als Miss Cattyman nie geglaubt hätte, dass Viola überhaupt heiraten würde. Geschweige denn gleich zweimal! Und das zweite Mal auch noch eine so hervorragende Partie! Vi war so ein stilles, liebes Mädchen gewesen, bescheiden und unaufdringlich, nicht lebhaft und charmant, so wie es die Männer mögen. Shirley (oder besser Cissy, an den Namen Shirley hab ich mich nie gewöhnt) war diejenige, nach der alle verrückt waren. Da sieht man mal wieder, dass immer alles anders kommt, als man denkt.
    Und nach der Hochzeit kann man sich auf Violas Briefe freuen und später dann auf Babys. Oh, die Babys! Darauf freut sie sich am allermeisten. Viola wird jetzt zwar noch rot, wenn man Babys erwähnt, dann murmelt sie: »Also wirklich, Catty, gute Güte ,
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