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Der Sommernachtsball

Der Sommernachtsball

Titel: Der Sommernachtsball
Autoren: Stella Gibbons
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Teller gesenkt wurde sie, während Mrs Wither auszuschenken begann, eines knarrenden Geräuschs gewahr, das sich ihr näherte. Plötzlich beugte sich Mr Wither über sie und sagte:
    »Du hast unser kleines Gespräch wohl ganz vergessen? Wo bist du denn so schnell hin verschwunden?« Und Mr Wither lachte, ein erschreckendes Geräusch.
    Sie hob den Kopf und schaute stumm vor Schreck zu ihm auf. Ebenso stumm nickte sie.
    »Na gut, dann eben ein andermal.« Das Knarren begann sich wieder zu entfernen. »Wirst in den nächsten Tagen wohl ziemlich beschäftigt sein, mit Auspacken und so?«
    Sie nickte. Mehr wurde dazu nicht gesagt.
    Aber in Mr Withers Busen keimte nun Misstrauen und Missbilligung gegenüber seiner jungen Schwiegertochter.
    Ein ganzer Eimer Kohle war für das Höllenfeuer verschwendet worden. Umsonst. Das raffinierte Arrangement der Prospekte. Das ordentlich zurechtgeklopfte Kissen. Alles umsonst. Am schlimmsten jedoch war, dass Mr Wither um sein kleines Gespräch gebracht worden war und immer noch nicht wusste, wie viel Geld Viola besaß. Sie befand sich nun schon seit fünf Stunden unter seinem Dach und war das einzige weibliche Wesen in seinem Haushalt, über dessen finanzielle Situation er nicht Bescheid wusste.
    Mr Wither war höchst verstimmt. Er knabberte an einem verhutzelten kleinen Teekuchen und starrte ins Feuer. Er musste sich diese Viola ordentlich zur Brust nehmen, überlegte er sich.
    Nach dem Tee (mein Gott, war es noch so früh?) ging Viola wieder hinauf in ihr Zimmer. Niemand fragte sie, was sie bis zum Abendessen tun wolle. Geräusche aus einem Badezimmer ließen darauf schließen, dass sich Tina die Haare wusch; Mrs Wither und Madge schienen sich in Luft aufgelöst zu haben. Viola schloss die Tür hinter sich, schlurfte lustlos zum Fenster, schob die Scheibe hoch und ließ den Blick über die Landschaft schweifen, die Ellbogen aufs Fensterbrett gestützt.
    Es war ein schöner Abend. Der Wind hatte sich gelegt, die Sonne ging hinter korallenroten Wolken unter. Die Luft war milde, und es duftete nach frischen jungen Blättern. Ein einzelner Stern stand am Himmel; im Wäldchen begann eine Drossel zu singen.
    Es war herzzerreißend. Viola brach in Tränen aus.
    Neunzehnjährige Mädchen lassen sich in zwei Kategorien einteilen: jene, die davon überzeugt sind, dass sie sehr schnell heiraten werden, und jene, die fürchten, nie einen Mann zu bekommen. Viola Thompson, einzige Tochter von Howard Thompson, Miteigentümer von Burgess and Thompson, Damenmode, hatte zu letzterer gehört.
    Sie hatte keine hohe Meinung von sich. Als sich Teddy Wither in sie verliebte, war sie weniger geschmeichelt als betreten, ja erschrocken gewesen.
    Teddy war während einem seiner eher seltenen Besuche bei seinen Eltern an einem Samstagmorgen in den Laden gekommen, um sich ein Taschentuch zu kaufen. Er hatte eine Erkältung, und ihm war das Taschentuch auf der Fahrt nach Chesterbourne aus der Tasche geweht.
    Es ist natürlich Unsinn zu behaupten, es könne sich jeder in jeden verlieben. Teddy zum Beispiel hatte noch nie jemanden geliebt, außer sich selbst. Aber als er Viola erblickte, die lächelnd zwischen den anderen Verkäuferinnen stand und eine dicke hellblonde Locke hinters Ohr strich, verliebte er sich auf der Stelle und mit großer Heftigkeit.
    Die musste es sein und keine andere. Dieses hochgewachsene, ziemlich junge und etwas ungewöhnliche Mädchen. Er fand ihren Namen heraus und bombardierte sie mit verzweifelten Liebesbriefen, in denen er sie anflehte, mit ihm auszugehen. Er gab sein Zimmer in London auf und zog vorübergehend zu seiner Familie nach Sible Pelden (ein echtes Opfer, denn er mochte seine Familie nicht sonderlich und sah sie gewöhnlich fast gar nicht). Er schickte ihr Blumen. Er lud sie – zum Ärger und Entsetzen der Familie – zum Tee auf The Eagles ein. Und schließlich bekniete er sie, bebend vor Leidenschaft, ihn zu heiraten.
    Viola mochte ihn nicht sonderlich. Er tat ihr leid, dennoch machte sie sich mit ihrer Freundin Shirley Davis über ihn lustig. Shirley nannte ihn immer nur »den Klops«. Viola fühlte sich in seiner Gegenwart unbehaglich, weil er sie immer so anstarrte. Außerdem lebte sie glücklich und zufrieden in einer kleinen Dreizimmerwohnung über dem Laden, mit ihrem Vater, einem hochgewachsenen, leicht reizbaren Mann, der, wenn er nicht herumwetterte, Shakespeare zitierte und seine Tochter gerne spontan mit ins Kino nahm, um den Film dann hinterher mit Genuss
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