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Der Sommernachtsball

Der Sommernachtsball

Titel: Der Sommernachtsball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Gibbons
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träumte sie gelegentlich von einer Hochzeit in der alten Kirche in Sible Pelden, zu der sie und ihr Vater manchmal zu Fuß gewandert waren. Sie malte sich aus, wie Victor vor dem Altar auf sie wartete, während sie, ganz in Weiß und mit Orangenblüten im Haar, am Arm ihres Vaters durch den Mittelgang auf ihn zuschritt.
    Das Erwachen war jedes Mal ein Schock. Festzustellen, dass man bereits verheiratet war und nie mehr eine solch romantische Hochzeit erleben würde, am Arm eines attraktiven jungen Mannes, der einen liebevoll ansah und einem sagte, wie schön man doch sei.
    Und jetzt, da sie Witwe war, fest eingebettet in den vertrockneten Schoß der Familie ihres verstorbenen Mannes, schien es unwahrscheinlicher denn je, dass sie irgendwann Mrs Victor Spring werden würde.
    Während sie weinend am Fensterrahmen lehnte, weil sie sich so schrecklich einsam fühlte und ihren lieben Vater so fürchterlich vermisste, erspähte sie durch ihre Tränen und durch die spärlich belaubten Bäume die rote Ziegelfassade des Herrenhauses der Springs, Grassmere genannt, das den Hügel auf der anderen Talseite krönte.
    Zwischen diesen beiden Hügeln, auf denen je ein Herrenhaus stand, befand sich ein Wäldchen, dessen Schatten in der hereinbrechenden Dämmerung immer dichter wurden.
    Sie starrte zu diesem Haus hinüber. Ihr war klar, dass dies sein Haus war, aber an ihn dachte sie dabei nicht wirklich. Victor Spring war ein Traum für sie, keine reale Person. Aber dort lebte er und hatte dort gelebt, seit sie ihn »kannte«. Er lebte dort in einer herrlichen Welt, in der alle glücklich waren, schöne Kleider trugen, jede Nacht Bälle oder Tanzveranstaltungen oder Shows besuchten und alles in vollen Zügen genossen.
    O wie gerne sie in dieser Welt leben würde!
    Wie romantisch es aussah, dieses Haus! Wie ein Märchenschloss kam es ihr vor, wie es dort im Dunst des hereinbrechenden Abends auf der anderen Talseite aufragte. Im oberen Stockwerk brannte ein Licht, hell und einladend (auf The Eagles waren alle Lichter schwach und trübe; Mr Wither war der Meinung, dass helles Licht den Augen schade).
    Was für ein finsteres abscheuliches Loch dies hier ist, dachte sie, während ihr die Tränen warm übers Gesicht liefen, und ich muss für immer und ewig hierbleiben, bis ich so alt bin wie Tina. Hier komme ich nie wieder weg.
    Von der anderen Talseite drang das arrogante Dröhnen einer Autohupe herüber. Das war Victor Springs großer Bentley, der über die dunklen Landstraßen sauste und ihn fürs Wochenende heimführte. Ein erregender, herrischer Ruf. Wie das Jagdhorn des Prinzen, der Schneewittchen erweckt, schallte er durch das im Dämmerschlaf versinkende Wäldchen.

3. KAPITEL
    An demselben Apriltag, an dem Viola zu den Withers kam, saß Mrs Spring auf Grassmere beim Frühstück im Morgenzimmer, nippte Orangensaft und blätterte im DAILY EXPRESS .
    Victor war bereits nach London gereist, seine Abfahrt verursachte noch einige Nachbeben. Das Haus, seiner männlichen Kraft beraubt, blieb bis zu seiner Rückkehr am Abend in der Obhut der weiblichen Hausbewohner und des Personals.
    Er hatte beim Frühstück nichts gesagt, außer dass er zum Dinner da sein würde. Nur einmal hatte er aus dem Fenster geschaut, weil etwas Weißes seine Aufmerksamkeit erregte, das dort nicht hingehörte. Gänseblümchen, fünf Stück, wuchsen auf seinem ansonsten perfekten grünen Rasen.
    Aber er hatte – ohne die Stirn zu runzeln – sofort wieder in seine Zeitung geschaut. Das Unkraut würde noch vor dem Mittag verschwinden; die Gärtner würden sich im Lauf ihres üblichen Tagwerks darum kümmern.
    Man dachte unwillkürlich an eine Musical-Szenerie, wenn man das Gebäude und das Grundstück erblickte. Ein majestätischer roter Backstein-Fachwerkbau, dessen Holzbalken (und davon gab es eine ganze Menge) weiß gestrichen waren. Sobald Ziegel oder Holzbalken an Frische und Reinheit zu verlieren drohten, wurden sie gesäubert oder neu gestrichen. Es war nicht so, dass Victor Schäbigkeit nicht ertragen konnte – es war einfach kein Platz dafür in seinem Leben. Jedes einzelne Zimmer in diesem wohnlichen, luxuriös ausgestatteten Anwesen hatte sich demselben strikten Regime zu unterwerfen.
    Wenn Gin auf ein pflaumenblaues Samtkissen mit silberner Borte verschüttet wurde, so verschwand dieses Kissen und wurde durch eins aus schwarzer Seide ersetzt, bestickt mit Iris in vierzehn natürlichen Farbtönen, für 49 Shilling und 11 Pence das Stück. Sollte ein

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