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Der Sommernachtsball

Der Sommernachtsball

Titel: Der Sommernachtsball
Autoren: Stella Gibbons
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Fenster.
    Elf Gänseblümchen, elf unordentliche Gänseblümchen, wuchsen immer noch illegal auf seinem Rasen. Dabei war Saxon heute Morgen instruiert worden, sie zu entfernen. Was er noch nicht getan hatte. So ging das nicht. Er musste noch mal mit ihm reden. Mr Wither wandte sich entschlossen vom Fenster ab.
    Viola war verschwunden.
    Und nicht nur sie, auch Tina war fort. Und – o Schande! – auch Mrs Wither. Nur noch Madge lümmelte am Tisch und strich Butter auf eine unnötig dicke Scheibe Brot.
    »Wo ist sie hin?«, rief Mr Wither entsetzt.
    »Wer?«, nuschelte Madge mit vollem Mund.
    »Viola!«
    »Holt sich ein Taschentuch.«
    »Aber … wir wollten doch … sie kann doch nicht ohne ein Wort …«
    »Sie hat sich entschuldigt, aber du hast es nicht gehört, weil du aus dem Fenster geschaut hast.«
    »Und deine Mutter … Christina?«
    »Mama will mit Saxon wegen der Gänseblümchen reden. Und Tina will sich die Haare waschen, glaube ich.«
    Mr Wither ging schweigend zur Tür. Dort drehte er sich noch einmal um und sagte:
    »Wenn Viola wieder auftaucht, sag ihr bitte, dass ich sie in meinem Arbeitszimmer erwarte.«
    Aber Viola hatte sich mit einer Hauszeitschrift in einer von drei Toiletten des Anwesens eingeschlossen und kam erst wieder heraus, nachdem sie durchs Fenster gesehen hatte, wie Mr Wither das Haus verließ. Er hielt den Kopf gesenkt und drosch mit seinem Spazierstock im Vorbeigehen auf die Vegetation ein. Seine Mütze (die in den regenreichen Wintern in dieser Gegend eingelaufen war) wies dasselbe Schottenkaro auf wie seine Hose, dazu trug er einen Mackintosh. Er verließ das Haus Richtung Wäldchen, ein Ort, wo man ungestört über Geld nachdenken konnte.
    Erst da wagte sich Viola wieder heraus und huschte hinauf in ihr Zimmer.
    Den Rest des Nachmittags verbrachte sie mit Auspacken, wobei ihr Tina half. Tina war überhaupt unheimlich nett. Sie bewunderte Violas Kleider (obwohl ihre nicht nur teurer waren, sondern auch von mehr Geschmack zeugten, ein Talent, das Tinas junger Schwägerin offenbar abging) und half ihr, ihre Locken wieder in Form zu bringen. Trotzdem fühlte sich Viola zur Teezeit miserabel. Wie still es hier war! Und wie uralt alle waren!
    Den ganzen Nachmittag lang huschten die Schatten wunderschöner weißer Wolken über die großen, hässlich möblierten Räume; nachts krochen die bleichen Strahlen des Mondes träge über klauenfüßige Mahagoni-Tische und riesige Sideboards. Nachts muss es hier schrecklich sein, dachte Viola. Totenstill.
    Seit fünfzig Jahren schien sich nichts in diesem Haus verändert zu haben, nichts gewachsen zu sein. Obwohl Mr Wither das Geldausgeben verabscheute, sparte er nicht, wenn es um wesentliche Dinge ging, wie Möbel. Dann war ihm DAS BESTE NICHT GUT GENUG . Denn nur DAS BESTE war am Ende DAS BILLIGSTE ; leider jedoch hielt das Beste so lange, dass das Ende nie kam. Mr Withers Möbel waren nach fünfzig Jahren noch genauso neu wie am Anfang; ihnen fehlte die Patina, die ihnen ein munteres, lebhaftes Familienleben verliehen hätte.
    Keiner, der mit dem Absatz einen Kratzer in einem Möbelstück hinterließ, wenn er nachts mal betrunken nach einer Party nach Hause kam. Oder bei einer munteren Scharade dagegenstieß. Oder es als Flugzeug oder als Bärenhöhle benutzte. Keiner hinterließ Brandspuren mit einer unvorsichtig platzierten Zigarette oder Wasserränder mit einem gedankenlos abgestellten Glas. Unverrückbar, makellos poliert füllten sie zwölf große Räume und senkten sich mit ihrem Gewicht schwer auf ein törichtes junges Gemüt.
    Im trägen Takt einer massigen Standuhr, die in einem Alkoven in der Eingangsdiele stand, schien die Zeit sich zu verlangsamen, zu dehnen wie Kaugummi. Über allem hing ein schwacher Geruch von Möbelpolitur. Dünne Glasvasen, gefüllt mit ein paar mageren Blumenstängeln, spiegelten sich in den polierten Mahagoni-Oberflächen. Diese Pracht wurde von drei ältlichen, puritanischen Dienstmädchen aufrechterhalten, deren Adleraugen nichts entging und die in religiöser Rechtschaffenheit so gut wie alles missbilligten, außer das Radio, dessen Programm sie leidenschaftlich gerne lauschten.
    Viola war nicht nur deprimiert, sie war verängstigt. Ihr graute nach der gelungenen Flucht vor einer neuerlichen Begegnung mit Mr Wither. Als sich die Hausbewohner in dem riesigen, kahlen Speisezimmer um ein kümmerliches Feuer zum Tee versammelten, traute sie sich nicht, Mr Wither anzusehen. Den Blick geflissentlich auf ihren
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