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Der Sommer der Toten

Der Sommer der Toten

Titel: Der Sommer der Toten
Autoren: Michael T. Hinkemeyer
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setzte langsam wieder ein. Aber ihre Kehle gehorchte ihr nicht, ihre Stimme versagte. Die Schritte kamen näher. Das Licht wurde heller. Das Licht einer Lampe …
    »Katherine?«
    Papa.
    Trotz ihrer Schwäche schaffte sie es bis zur Kellertür. Er kam die Treppe hoch. Die Petroleumlampe in seiner Hand tauchte sein Gesicht in grelles Licht. Er sah sehr alt aus. Und gar nicht gütig.
    »Papa, ich war so erschrocken.«
    Er betrat die Küche, schien erstaunt.
    »Warum?«
    »Dieses Geräusch. Hast du das Geräusch nicht gehört?«
    »Welches Geräusch denn?«
    »Ein Anstreifen, wie mit einer Bürste.«
    »Ach das. Das war ich. Konnte nicht schlafen und dachte mir, ich reinige die Heizung.«
    Ach, das war es also. Das Röhrensystem, das vom Heizofen aus in alle Räume führte, und die lange elastische Drahtbürste, mit der man diese Röhren rundum entlangfahren konnte. Kein Wunder, daß das Geräusch von überallher zu kommen schien. Es war aus jedem einzelnen Heizkörper gedrungen. Damit war auch das hohle Geräusch erklärt, und Papas Stimme, die gedämpft aus großer Entfernung gekommen war.
    Katie kam sich nun ein wenig albern vor. »Hättest du es mir bloß vorher gesagt.«
    »Du hast geschlafen. Dachte mir, ein wenig Arbeit könnte nicht schaden. Wir benutzten letzten Winter den alten Holzofen statt der Gasheizung, weil das Gas zu viel gekostet hätte.«
    Er nahm wieder die Lampe zur Hand, und da bemerkte sie etwas: auf Handflächen und Fingern schimmerten dunkle Flecken, wie von einer Flüssigkeit.
    »Was …?«
    Papa zog die Hände zurück, ging zum Spülstein und ließ Wasser einlaufen.
    »Ein wenig Ruß, schätze ich«, brummte er als Erklärung.
    Katie dachte an etwas anderes, das ihr unerklärlich war.
    »Was ist mit der Beleuchtung?«
    »Beleuchtung?« Jetzt trocknete er seine Hände ab. Das Licht der Petroleumlampe ließ ihn groß und hager erscheinen.
    »Ja, oben. Ich wollte Licht machen, und es ging nicht.«
    »Ach so! Ich wollte unten Licht machen. Muß wohl im Sicherungskasten den falschen Schalter erwischt haben oder die andere Sicherung ist beschädigt. Morgen sehe ich nach.«
    Katie wollte zu ihrer Mutter, ihr Vater blieb ihr mit der Lampe auf den Fersen. Als sie an der Tür zum Vorderzimmer vorbeiging, sah sie die Kissen und Decken auf der Couch, die sie in der Dunkelheit für ihren schlafenden Vater gehalten hatte.
    »Warte…«, sagte Papa.
    Er ging zurück in die Küche, Katie sah ihm nach. Er drehte sich hastig um und schloß die Kellertür. Sie hörte das Einschnappen des Schlosses. Und gleich darauf das Knirschen eines Schlüssels im Schloß.
    Um diese Zeit ein wenig ungewöhnlich.
    »Ich möchte bloß nicht, daß Aggie Jensen überall ihr Nase reinsteckt«, erklärte er.
    Dann gingen sie zu Mama. Sie wirkte elender und hilfloser als zuvor. Wenn sie nur wach werden und ein wenig Nahrung zu sich nehmen würde, sie anblickte, damit sie sah, daß jemand um sie war, sie versorgte …
    »Doc Bates ist zu alt, Papa«, mahnte Katie leise.
    Papa richtete sich steif auf. Sie spürte, daß er verärgert war.
    »Wir alle sind nicht so alt, wie du vielleicht glaubst, Katie«, sagte er. »Nicht einmal du.«
    »Aber …«
    »Am besten, du gehst jetzt hinauf«, schnitt er ihr das Wort ab. »Es ist später, als du glaubst.«
     
    Sie versuchte wieder einzuschlafen. Die große Uhr auf dem Flur draußen vertickte die entschwindenden Minuten. Sie schloß die Augen! Und dann schwebte sie den Gang entlang. Die Wände waren bläulich, dunkler, tiefblau, purpurn. Plötzlich winkte die Tür, der Eingang zu etwas Altem, Vergessenem. Alle Gedanken trieben von ihr weg, hörten auf, bis auf ein unendliches Bild vor dem endgültigen Hinübergleiten, etwas, das sich vor langer, langer Zeit in diesem Hause zugetragen hatte.
    Dann war es fort, und sie schlief fest.

 
Freitagmorgen, 18. Juni
     
     
I
     
    Otto Ronsky warf den Kopf zurück, kniff die Augen zusammen und spähte seine unglaublich lange Nase entlang. So begutachtete er Katie eingehend. Die Nase war sein Glück, ein knolliges, deformiertes, phantastisches Instrument. Sie meldete ihm, wann der Weizen reif war und wann der Regen kam. Diese Dinge strömen einen eigenen Geruch aus. Und sie meldete ihm, wann ein fettes Geschäft winkte. Bei Wettervorhersagen mußte man mit einer gewissen Fehlerquote rechnen, aber noch nie hatte sein Riecher bei einem guten Geschäft versagt.
    Er lächelte und entblößte dabei ein lückenhaftes, tabakverfärbtes Gebiß.
    »Na, wenn
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