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Der Sommer der Toten

Der Sommer der Toten

Titel: Der Sommer der Toten
Autoren: Michael T. Hinkemeyer
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in Zukunft nicht klappen sollte, dann mußte man Hormonpräparate in Betracht ziehen. Aber Katie wollte nicht. Sie wollte keinen Wurf von Babys, wie man es so oft las. Katie wäre mit einem Kind zunächst vollauf zufrieden gewesen.
    Vor ihrem Zimmer tickte langsam und erbarmungslos die Uhr. In ihrem Kopf stritten sich Schlaf und Apfelschnaps. Im Erdgeschoß war alles ruhig.
    Da streifte etwas vorüber, leise, aber jetzt schon näher bei ihr.
    David fehlte ihr. Es war das erste Mal seit ihrer Heirat, daß sie getrennt waren. Sie vermißte seine Wärme, seine beruhigende Gegenwart. Sie verlor sich in Erinnerungen an ihn …
    Sie erwachte in der Dunkelheit. Um sie herum leises Rascheln, suggestiv, trügerisch, richtungslos, ursprungslos.
    Das Geräusch war mit im Raum, und doch nicht. Es kam unregelmäßig, bald schnell und hektisch, dann wieder leise wie das winzige Flattern einer zarten Bürste an … an Metall! Aber das ganze Zimmer durchdringend. Unmöglich. Und als ihr klar wurde, daß es unmöglich war, begann sie Angst zu spüren. Ein Wächter meldete sich in ihrem Gehirn, weckte Gedächtniszellen, störte uralte Synapsen auf. Das schleifende Geräusch. Vor langer Zeit … Aber die Erinnerung hatte keine Zeit, keine Möglichkeit … So als wäre es mit ihr im Raum, in den Wänden, schien das Geräusch um sie herum zu explodieren, schleifend und krachend. Sie hörte den eigenen Herzschlag, starr vor Furcht. Dann wurde das Geräusch schwächer. Ihr Herz raste.
    Sie sprang aus dem Bett, lief hinaus auf den Gang. Jetzt hörte sie Schleifen und Scharren im Gästezimmer. Sie knipste das Ganglicht an, nichts. Sie knipste einige Male, unterdrückte Panik. Etwas Weiches streifte an Metall und klopfte manchmal daran. Wieder machten sich die Gedächtniszellen an die Arbeit, aber die Angst gewann die Oberhand.
    »Papa!« rief sie. Die eigene Stimme klang zittrig und fremd, aber doch merkwürdig tröstlich. Keine Antwort.
    »Papa!« rief sie abermals, ein wenig lauter diesmal. Wieder keine Antwort.
    Sie lief den Gang entlang zum Gästezimmer. Die große Uhr drohte über ihr, die leuchtenden Zeiger irgendwo auf der dunklen Seite von ein Uhr. Ticktack, schwang das Pendel. Sie stieß die Tür zum Gästezimmer auf. Das sonderbare Geräusch meldete sich und verschwand wieder.
    »Papa!« schrie sie.
    Und von weitem, wie vom Ursprung des Geräusches ausgehend, kamen unartikuliert und undeutlich die Worte:
    »Was ist los?«
    Wie ein Schlag traf sie plötzlich der Gedanke an Mama. Was, wenn sie sich irgendwie bewegte, in Krämpfen wand und auf wortlose Art um Hilfe rief?
    Oder etwa im Sterben lag und um sich schlug?
    Katie stürmte die alte Holztreppe hinunter, strauchelte und fiel in der Finsternis fast hin.
    Was war denn mit der Beleuchtung los? Ach, Papa!
    »Papa!«
    Keine Antwort. Das bürstende Geräusch war nun ganz schwach und verstummte ganz, kam wieder, ganz leise, wie eine Liebkosung.
    Mama lag still und reglos im Bett. Warm. Der Puls war schwach, aber regelmäßig. Katie, die sich plötzlich ihres angehaltenen Atems bewußt wurde, atmete erleichtert aus.
    Dann wieder das Geräusch, ganz plötzlich, um sie herum. Instinktiv, jenseits von Wissen und Erinnerung warf sie die Hände hoch und schützte Gesicht und Kopf.
    »Papa!« Lauter konnte sie nicht.
    Das Bürsten hörte auf. Stille.
    »Was ist?«
    Wieder diese unwirkliche Antwort, undeutlich hohl aus einer nicht feststellbaren Quelle stammend. Und doch annähernd menschlich. Es hätte von den Wänden, ja aus der Luft kommen können. Aber diesmal hörte sie auch das metallene Geräusch, Metall fest auf eine harte Oberfläche gesetzt, und dann eine ganze Reihe von anderen Geräuschen, die Katie erkannte. Schritte. Im Haus. Im Keller unter ihr. Die Schritte hielten eilig auf die Kellertreppe zu.
    Nur Sekunden waren vergangen, das Echo ihrer Schreie hallte noch von den Wänden des Zimmers. Mit wenigen Schritten war Katie draußen im Gang vor dem Vorderzimmer, in dem sie auf der Couch undeutlich ihren Vater im Schlaf sah.
    Die Angst lähmte ihre Denkfähigkeit, während die Schritte näherkamen. Sie wurde von Panik erfaßt, sie konnte keinen logischen Gedanken fassen. Sie hatte geschrien. Papa mußte es gehört haben. Er konnte es nicht überhört haben, obwohl er schlief. Und wenn er nicht schlief, dann mußte er …
    Die Schritte erklommen die Kellertreppe, und aus der offenen Kellertür drang schwankendes Licht. Sollte sie wieder schreien? Davonlaufen? Ihre Denkfähigkeit
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