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Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)

Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)

Titel: Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)
Autoren: Fabio Geda
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einem Jungen, der ihr gefällt. Er hat ihr einen Ring geschenkt, der, wie sie anschließend festgestellt hat, aus einer Chipstüte stammt. Deshalb war sie beleidigt und hat nicht mehr mit ihm geredet. Aber der Junge gefällt ihr, und wie! Nach wie vor. Sehr sogar.
    »Hast du schon mal Frühstück bei Tiffany gesehen?«, frage ich.
    »Was ist das?«
    »Ein alter Film. Er handelt von zwei Menschen, die sich lieben und beschließen, sich beim teuersten Juwelier von New York einen romantischen Satz in einen Ring gravieren zu lassen, den sie in einer Chipstüte gefunden haben. Den solltest du dir mal ansehen.«
    Sie sitzt eine Weile da wie erstarrt, beginnt dann zu strahlen und umarmt mich. Sie verharrt so, und ich spüre ihr Körpergewicht, rieche den Duft ihres Haars, sehe die Farbe ihrer Wangen, das Pulsieren von Leben und Sehnsucht. »Ich stehe tief in deiner Schuld, weißt du das? Für immer.«
    Wir verabschieden uns. Ich fege den Hof und ziehe mich ins Hause zurück. Als ich das Abendessen zubereite, bin ich benommen, habe leichten Schüttelfrost. Von dem Schallplattenstapel nehme ich eine von Gershwin und lege sie auf. Ich hebe den Tonarm und setze die Nadel auf, drehe den Ton laut, reiße die Fenster auf. Ich gebe die Zwiebeln zu dem Schmorfleisch und lasse zu, dass die Musik sich im Wald verliert.
    *
    Meine ursprüngliche Idee bestand darin, die Worte, und zwar eines pro Kettenglied, in sechs aufeinanderfolgende Glieder einzugravieren. Doch dann habe ich festgestellt, dass es zwölf Glieder sind, und beschlossen, das Gebet zweimal in jede Kette einzuritzen. In einem Dorfladen im Tal, der Sportgeräte verkauft, besorge ich mir zwei Langhanteln mit sechs Gewichtscheiben à zwei Kilo. In einer Eisenwarenhandlung erwerbe ich zwei Schlösser. Zu Hause merke ich, dass die Hantelstange nicht durch die Kettenglieder passt. In Rosas Laden finde ich zwei große, breite Karabinerhaken und kaufe sie. Sie erfüllen ihren Zweck.
    Iole kommt nach wie vor jeden Mittwoch zum Mittagessen, während ich freitags zu ihr gehe. Eines Frühlingstages haben wir gerade gegessen und sitzen vor unserem Kaffee am Tisch. Wir schweigen. Iole und ich müssen nicht reden, wir können gemeinsam essen, ja uns stundenlang Gesellschaft leisten, ohne ein einziges Wort zu verlieren. An diesem Tag sagt sie auf einmal: »Ich ziehe nach Rom.«
    »Gefällt es dir im Dorf nicht mehr?«
    »Nein, das hat damit nichts zu tun. Natürlich gefällt es mir hier. Ich bin hier geboren, habe mein ganzes Leben hier verbracht. Aber ich spiele schon länger mit diesem Gedanken. Ich werde nicht jünger, und meine Schwester hat eine riesige Wohnung. Wir könnten uns gegenseitig Gesellschaft leisten. Das Haus hier behalten wir.«
    »Wann ziehst du um?«, frage ich.
    »In einer Woche. Mein Schwager kommt und holt mich mit dem Transporter ab. Stück für Stück nehmen wir alles mit.«
    »Das hättest du mir früher sagen sollen.«
    »Und was hätte das gebracht? Aber Ende Juli komme ich wieder, alter Freund. Den August werde ich ganz bestimmt nicht in der Stadt verbringen und jede Menge Lebensmittel herankarren, so wie immer. Ich lasse dich schließlich nicht verhungern!«
    »Prima«, sage ich und lächle, denke aber, dass es mich im August nicht mehr geben wird.

6. KAPITEL
    Ich könnte, ja würde gern sagen, dass schon Herbst in der Luft lag und der Sommer vorbei war, als ich Colle Ferro verließ. Aber dem war nicht so. Die Sonne brannte vom Himmel, die Arbeitsbienen summten zwischen Blüten und Rinden herum, um den Bienenstock mit Propolis, Pollen und Nektar zu versorgen, und nicht wenige starben dabei an Erschöpfung. Die Erde, die von den Regengüssen im Juli getränkt worden war, verlangte wieder nach Wasser: Das typische Hin und Her zwischen Überfluss und Mangel, das das Leben zwischen Zufriedenheit und Unzufriedenheit fixiert. Der Sommer war in Colle Ferro, ja im ganzen Tal auf seinem Höhepunkt angelangt, als Mama und ich mit Großvaters Hilfe das Auto beluden, um abzureisen.
    Papà durfte wieder nach Hause. Er hatte die Transplantation sehr gut überstanden. Auch wenn wir die nächsten Jahre mit der Angst vor einem Rückfall leben mussten, hatten wir den Eindruck – der von den Ärzten geteilt wurde –, dass die erste Schlacht mit Bravour geschlagen worden war. Noch heute lässt er regelmäßig sein Blut untersuchen, und bald nach der Rückkehr nach Capo Galilea brauchte er einen Aderlass, um den durch die Transfusionen entstandenen Eisenüberschuss im Blut zu
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