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Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)

Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)

Titel: Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)
Autoren: Fabio Geda
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reduzieren. Doch ansonsten konnten wir unser altes Leben wiederaufnehmen.
    In der Woche vor unserer Abreise – Isacco zeigte mir gerade begeistert bestimmte Übungen zur Kräftigung von Bizeps und Brustmuskulatur – fielen mir im Freizeitpark zwei elegante Herren auf, die aussahen, als hätten sie sich verlaufen. Einer der beiden trug einen weißen Hut. Als er uns entdeckte, zupfte er den anderen am Jackett, und beide hoben synchron den Arm, um unsere Aufmerksamkeit zu erregen.
    Isacco und ich wechselten einen fragenden Blick. Er fuhr mit seinen Armbeugen fort, und ich ging ihnen entgegen.
    »Ist einer von euch Simone Coifmanns Enkel?«
    »Ja, ich, wieso?«
    »Die Ladenbesitzerin hat uns hierhergeschickt. Könntest du uns zu deinem Großvater bringen?« Der Mann ohne Hut – er hatte eine helle Jacke an und müde Augen – wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. »Ich war sein Trauzeuge, musst du wissen. Wir haben rein zufällig erfahren, dass er hier lebt. Das hat uns der Kerl gesagt, bei dem wir unseren Käse bestellen.«
    »Cesco?«
    »Genau der. Bringst du uns zu ihm? Wir haben nicht viel Zeit.«
    Ich rief Isacco zu, ich sei gleich wieder da. Der erwiderte, er habe keine Lust mehr und werde jetzt duschen gehen. Ich solle anschließend zu ihm nach Hause kommen, dann könnten wir uns Das Schweigen der Lämmer ansehen. »Ich habe mir die DVD gestern am Kiosk gekauft.«
    Zu Fuß gingen wir den Weg hoch. Der mit dem weißen Hut trug auch einen seltsamen Kneifer. Er redete viel, deutete erst auf einen Berggipfel und dann auf den Staudamm, der zwischen den Blättern der Steineichen hervorblitzte. Im Gehen pflückte er Heidekraut. Anschließend schnupperte er an seiner Hand, um den Duft einzuatmen. Großvater betrat den Hof. Er sah uns kommen, ließ die hölzernen Wäscheklammern in den Korb fallen und wartete, bis wir ihn erreicht hatten. An der Falte zwischen seinen Augen und dem nachdenklichen Blick erkannte ich, dass er sich nicht ganz sicher war, wen ich da zu ihm brachte. Aber irgendwas hatte ihn doch erschüttert. Wir waren nur noch wenige Meter von ihm entfernt, als der Groschen fiel: dieses Gesicht, dieser Hut, diese Hände!
    »Simone!«, rief der Mann mit der hellen Jacke. »Wie lange haben wir uns nicht mehr gesehen?«
    »Keine Ahnung«, sagte Großvater.
    »Das ist jetzt bestimmt zwanzig Jahre her«, schaltete sich der Mann mit dem weißen Hut ein. »Wahrscheinlich in irgendeiner Mailänder Trattoria.«
    »Du erinnerst dich noch an Mario?«
    »Ob ich mich noch an Mario erinnere? Na, hör mal! Sehe ich wirklich so senil aus?«
    »Ach Quatsch, du bist super in Form.«
    »Mario!«, sagte Großvater und gab ihm die Hand. »Wie schön, dich wiederzusehen. Und wenn ich noch etwas hinzufügen darf …«
    »Bitte, nur zu!«
    »Wie schön, dass ihr immer noch zusammen seid. Aber kommt doch bitte herein. Wie wär’s mit einem Kaffee?«
    Isacco lag zwar schon bäuchlings auf dem Parkett und wartete bei genau richtig heruntergelassenen Rollläden mit einer Karaffe eiskalter Zitronenlimonade und drei Tüten Erdnüssen auf mich – und das in Gesellschaft von Hannibal Lecter! Aber ich witterte Enthüllungen und unfreiwillig preisgegebene Geschichten aus Großvaters Leben, sodass mich keine zehn Pferde von hier weggebracht hätten. Außer Luna hätte etwas von mir gewollt, aber Luna war mit ihren Eltern Gott weiß wo, um Schuleinkäufe zu machen – und das schon im August!
    »Elena?«, fragte Gioele und nahm einen Stapel Putztücher vom Stuhl, um sich setzen zu können. Mario behielt seinen Hut auf und blieb am Fenster stehen.
    Großvater füllte Kaffee und Wasser in die Espressomaschine und setzte sich ebenfalls. »Elena lebt nicht mehr.«
    Gioele schlug sich die Hände vor den Mund. »Warum hast du nie etwas gesagt?«
    »Dir hätte ich das sagen sollen?«, ereiferte sich Großvater und hustete. »Ich muss es mir selbst noch sagen.«
    »Ich bin sprachlos …«
    »Das ist kein gutes Zeichen. Aber was ist mit euch? Was hat euch hierherverschlagen?«
    »Cesco«, sagte ich und rechtfertigte meine Anwesenheit dadurch, dass ich das gewagteste t ramezzino in der jüngeren Gastronomiegeschichte zubereitete: Mayonnaise, die in jede Weißbrotpore drang, ein hart gekochtes kaltes Ei, das ich sorgfältig zerkrümelte, und winzige Stückchen gehackte Oliven (es war schließlich nicht meine Schuld, dass die Olivenpaste aus war). Außerdem beabsichtigte ich, Speck in der Pfanne anzubraten.
    »Es ist zehn Uhr
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