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Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)

Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)

Titel: Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)
Autoren: Fabio Geda
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darauf. Wir ließen die Worte davonschweben, bis sie sich von selbst auflösten.
    Der erste Feuerwerkskörper tauchte das Tal ohne jede Vorankündigung in ein violettes, dann in ein gelbes und schließlich in ein grünes Licht. Während wir im Schneidersitz auf unseren Decken saßen, beobachteten wir, wie das Leuchtpulver seine Bahnen über den Himmel zog, zu Baumwipfeln explodierte, die sich sofort wieder auflösten und gewissermaßen als Vorboten des Herbstes brennendes Konfetti herabregnen ließen. Wir sahen Licht, Explosionen, Rauch. Ich musste an Iole und Großvater denken, an Flugzeuge und Stanniolstreifen – daran, welche Flugzeuge das wohl gewesen waren: B-52s, Big Ugly Fat Fellows ? Daran, ob ich Luna versprochen hätte, sie zu heiraten. Daran – aber das denke ich heute! –, wie gern ich in diesem Moment bewusst wahrgenommen hätte, welche Samen dieser Sommer in mich gelegt hatte und was noch alles daraus erwachsen würde. Ich hätte es gern gewusst, um es zu genießen, um darüber zu staunen. Aber so funktioniert das nun mal nicht: Das Leben hat keine Untertitel und auch kein Prequel : Es besteht ausschließlich aus verschwommenen Momentaufnahmen.
    Nach ungefähr zwanzig Minuten verklang das Prasseln der letzten Feuerwerkskörper. Wir blieben noch eine Weile, um die uns umgebende Nacht zu genießen, diese Unabhängigkeit. Und obwohl das der geeignete Moment gewesen wäre, um mich zu verabschieden, brachte ich nicht den Mut dazu auf.
    Das tat ich erst am letzten Vormittag.
    »Du reist ab?« Isacco machte Augen, die an konzentrische Kreise im Wasser erinnerten. »Und das sagst du so nebenbei?«
    Luna hockte verstimmt auf der Kirchenmauer. Von dort aus konnte man den alten Friedhof sehen, wo in einem Winkel meine Urgroßmutter begraben war – Großvater hatte mir die Stelle einmal gezeigt.
    »Das hättest du uns vorher sagen sollen. Dann hätten wir was organisieren können …«
    »Ich wusste es selbst nicht«, log ich. »Meine Mutter hat mir heute eine SMS geschickt.«
    »Wann kommt sie denn?«
    »Zum Mittagessen. Wir brechen am Nachmittag auf und fahren die ganze Nacht durch. Dann ist weniger Verkehr.«
    »Aber du kommst doch wieder?«, fragte Isacco.
    »Im nächsten Sommer vielleicht, warum auch nicht?« Zu versprechen, dass man sich wiedersieht, ist meine Lieblingsmedizin gegen Abschiedsschmerz, selbst wenn die Chancen dafür alles andere als gut stehen. Aber vielleicht glaubte ich diesmal wirklich daran. – »Wirst du auch hier sein, Luna?«
    »Ich glaube nicht.«
    »Kinder …« Das kam von einem der Alten auf der Bank. »Ist einer von euch so nett und holt meine Grissini bei Rosa ab? Das Wechselgeld dürft ihr behalten.«
    Während Luna und ich den Satz noch auf uns wirken ließen, war Isacco längst aufgesprungen.
    »Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um mich zu verabschieden«, sagte ich. »Ich fahre heute weg.«
    »Wohin?«
    »Nach Hause.«
    »Fängt die Schule wieder an?«
    »Nein, das nicht, erst in ein paar Wochen.«
    »Hast du gehört?«, sagte der Mann mit Anselmos Hut zu dem mit der Zeitung, der auf seine Grissini wartete und sich immer wieder ungeduldig nach Rosas Laden umsah. »Der Sommer ist vorbei.«
    »Warum braucht der so lange?«, fragte der Mann mit der Zeitung, womit er Isacco meinte.
    »Hast du gehört, was ich gesagt habe?«
    »Ja, ich habe es gehört. An meinem ersten Schultag wollte ich gar nicht erst hingehen. Meine großen Brüder hatten mir erzählt, dass der Lehrer heftige Stockschläge austeilt, deshalb hatte ich Angst davor. Daran kann ich mich noch gut erinnern.«
    »Was hat das denn damit zu tun?«
    »Was?«
    »Was haben die Stockschläge damit zu tun? Ich sagte, der Sommer ist vorbei.«
    »Das ist er jedes Jahr irgendwann. Wundert dich das?« Anschließend meinte er an mich gewandt: »Warum kommt dein Freund nicht wieder?«
    Ich zuckte die Achseln. »Hört mal«, sagte ich. »Bevor ich mich endgültig verabschiede – darf ich euch was fragen?«
    Beide starrten mich an.
    »Wie heißt ihr?«
    Der mit dem Hut nahm ihn ab, presste ihn an seine Brust und erhob sich schwerfällig. Er gab mir die Hand: »Rodolfo.«
    »Es war mir ein Vergnügen, Rodolfo. Bis bald.«
    »Da kommt er ja!«, rief der Mann mit der Zeitung. Isacco kam mit der braunen Tüte zurück, aus der Rosas Ölteiggrissini ragten wie Äste aus der Glut.
    »Das Wechselgeld darf ich also behalten?«, fragte er und reichte ihm die Tüte.
    »Glaubst du etwa, ich lüge?«, sagte der Mann mit der
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