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Der Sohn des Azteken

Der Sohn des Azteken

Titel: Der Sohn des Azteken
Autoren: Gary Jennings
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für mich drei Tage schrecklicher Schmerzen – und meine Verwundung war durchaus nicht die schlimmste –, erreichten wir die Berge und suchten uns einen Weg durch die Schluchten. Dabei verirrten wir uns häufig, denn uns fehlte der erfahrene Ritter Pixqui als Führer. Von Hunger und Durst, von Erschöpfung und Blutverlust geschwächt, fanden wir schließlich unser Tal.
    Ich habe nicht einmal versucht, die Überlebenden der Schlacht von Aguascalientes zu zählen, obwohl ich das vermutlich ohne die Fähnchen und Bäumchen und Punkte hätte tun können, die Zahlen bezeichnen. Mehrere, die es hierher geschafft haben, sind inzwischen ihren Verletzungen erlegen, denn es gibt keine Wundärzte, die uns behandeln könnten. Sie liegen alle wie die vielen Hunderte unserer Krieger tot vor der Stadt der Heißen Quellen.
    Ein Yaki-Tícitl ist noch am Leben. Er hat freundlicherweise angeboten, für mich zu tanzen und zu singen, doch ich wäre lieber nach Mictlan verdammt, als mich dieser Art Behandlung zu unterziehen. Es ist nicht weiter verwunderlich, daß sich meine Wunde allmählich entzündet. Sie ist grün geworden und eitert. Ich glühe vor Fieber, dann wieder zittere ich vor Kälte und falle im nächsten Augenblick in ein Delirium, so wie damals im offenen Acáli auf dem Westmeer.
    Verónica pflegt mich aufopfernd und liebevoll, so gut sie kann. Sie legt heiße Kompressen auf die Wunde und behandelt sie mit den Säften verschiedener Bäume und Kakteen, die ihr von den Alten im Lager empfohlen wurden. Doch das alles hat keinen sichtbaren Erfolg. In einem Augenblick der Klarheit hast du gefragt, Verónica: »Was tun wir jetzt, Herr?«
    Ich versuchte, unerschütterlich und zuversichtlich zu klingen, als ich erwiderte: »Wir bleiben hier und lecken unsere Wunden. Etwas anderes können wir kaum tun. Hier sind wir wenigstens vor Angriffen sicher. Ich kann keine weiteren Pläne machen, solange diese verwünschte Wunde nicht verheilt ist. Dann werden wir sehen.« Sie nickte stumm, und um sie zu trösten, sagte ich leise: »Inzwischen habe ich nachgedacht. Deine Chronik des Mixton-Krieges, wie die Spanier ihn nennen, beginnt mit der Zerstörung von Tonalá. Mir ist eingefallen, daß es für künftige Geschichtsschreiber der EINEN WELT vielleicht von Nutzen sein könnte, wenn ich von früheren Ereignissen berichte, davon, wie alles angefangen hat. Würde es deine Geduld auf eine harte Probe stellen, Verónica, wenn ich dir mehr oder weniger mein ganzes Leben erzähle, damit du es aufzeichnest?«
    »Selbstverständlich nicht, Herr. Ich bin nicht nur da, um Euch zu dienen, sondern ich wäre … sehr daran interessiert, die Geschichte Eures Lebens zu hören.« Ich dachte eine Weile nach. Wo sollte ich beginnen? Dann lächelte ich, so gut ich konnte, und flüsterte: »Ich glaube, Verónica, ich habe dir den Anfangssatz der Chronik schon vor langer Zeit gesagt.«
    »Das glaube ich auch, Herr. Ich habe diesen Satz aufbewahrt, und er ist immer noch hier.« Du hast in deinen Papieren gesucht, ein Blatt herausgezogen und laut vorgelesen: »›Ich kann immer noch sehen, wie er brennt. ‹«
    »Ja«, sagte ich und seufzte. »Kluges, liebes Mädchen. Fangen wir damit an.«
    Ich weiß nicht, über wie viele Tage hinweg ich all das berichtet habe, was du bisher aufgeschrieben hast, auch wenn ich manchmal im Delirium unverständlich rede oder vor Qual verstumme.
    Schließlich sagte ich: »Ich habe dir alles erzählt, woran ich mich erinnern kann, selbst wenn es sich um belanglose Unterhaltungen und Vorfälle handelte. Vermutlich ist es trotzdem nur ein trockener Bericht.«
    »Nein, lieber Herr. Seit wir zusammen sind, habe ich ohne Euer Wissen Aufzeichnungen über Eure beiläufigsten Bemerkungen und meine Beobachtungen über Euch, Eurer Wesen und Euren Charakter gemacht. Denn um die Wahrheit zu sagen, ich habe Euch bereits geliebt, Herr, als ich noch nicht wußte, daß Ihr mein Vater seid. Mit Eurer Erlaubnis werde ich meine Beobachtungen in die Chronik einflechten. Das wird dem nackten Gerippe etwas Fleisch geben.«
    »Tu das, mein Kind. Du bist die Chronistin, und du weißt es am besten. Wie dem auch sei, du weißt jetzt alles, was es zu wissen gibt, und alles, was irgendein Geschichtsschreiber wissen muß.«
    Nach einer Pause fuhr ich fort: »Du weißt jetzt auch, daß du in Aztlan eine Verwandte hast. Wenn ich mich jemals von diesem fürchterlichen Fieber und der Schwäche erhole, werde ich mit dir dorthin gehen. Ich zweifele nicht daran, daß
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