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Der Skandal (German Edition)

Der Skandal (German Edition)

Titel: Der Skandal (German Edition)
Autoren: Fran Ray
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Behandlungen. Ike und ich hatten in den letzten Jahren nicht viel Kontakt, und ich wusste nichts von seiner Krankheit. Er hatte an einem Forschungsprojekt über Alzheimer teilgenommen, da er offenbar einige Symptome bei sich zu erkennen geglaubt hatte. Die Untersuchungen bestätigten seine Befürchtungen. Sein Arzt hat mir inzwischen bestätigt, dass die Krankheit noch immer als unheilbar gilt.
    Erst da habe ich endlich ein Schreiben begriffen, das ich in Ikes Sachen gefunden habe. Er schrieb darin, dass er die Absicht hätte, seinem Leben ein Ende zu setzen, wenn die Symptome schlimmer würden.
    Liebe Katie, ich hoffe, dass ich Ihnen damit ein bisschen helfen konnte. Ich wünsche Ihrem Freund alles erdenklich Gute. Sagen Sie ihm, er soll sich nicht schuldig fühlen am Tod meines Bruders. Es war Ikes freier Wille.
    Gottes Segen sei mit Ihnen!
    Ihre Debbie Ryerson
    Harpole faltet den Brief zusammen. Er spürt, wie sich etwas in ihm auflöst. Auch das Bewusstsein von Schuld kann einem Halt geben. Woran soll er sich jetzt festhalten?
    »Und? Was sagst du?« Katie sieht ihn mit ihrem wunderbaren Lächeln an. »Du bist nicht schuld, Hal!«
    Mühsam versucht er, ihr Lächeln zu erwidern.
    »Meinst du, du könntest damit leben?«, fragt sie leise, »Damit leben, dass du keine Schuld trägst?«
    Grell blitzt das Bild von Keith’ gespaltenem Schädel in ihm auf, und er unterdrückt einen Schrei.
    Wie sie so dasteht und ihn ansieht, so voller Hoffnung, so voller Sehnsucht nach einem Menschen, dem sie ihre Liebe schenken kann, kann er nicht anders, er reißt sich zusammen, unterdrückt das grausame Lachen, das aus ihm hervorzubrechen droht – und nickt.
    Sie fällt ihm um den Hals. »Jetzt wird alles gut, Hal, ich bin ganz, ganz sicher, jetzt wird alles gut.«
    Er hebt die Arme, legt sie ihr um den Körper und drückt ihn an sich. In diesem Augenblick, als er ihre Wärme spürt und ihre Tränen auf seinem Gesicht und als sein Herz sich öffnet, schwebt ein Schwarm schwarzer Vögel heran und verdunkelt den Himmel, der gerade noch so blau und weit war. Ihm ist, als würde eine kalte Hand sich nach ihm ausstrecken. Plötzlich fröstelt er, etwas Unheimliches nähert sich, das spürt er, und plötzlich weiß er, was es ist: die Erkenntnis.
    DIE STIMME war nicht Gottes Stimme … Es war …
    Mein Gott, schreit er stumm , mein Gott! Wie konntest du das nur zulassen!
    Keith, immer wieder erscheint Keith vor ihm. Keith, der ihn anlächelt, Keith als Gekreuzigter, Keith mit dem gespaltenen Schädel … Niemals wieder wird er diese Tat vergessen, niemals …
    »Hal, ich hab dich so vermisst«, hört er Katie sagen, »du hast mir so viel geschenkt …« Sie schluchzt, er legt ihr die Hand in den Nacken und will sie an sich drücken. Es ist dieselbe Hand, die die Axt gehoben hat, denkt er und erstarrt in der Bewegung. Katie schmiegt sich an ihn, sie hat nichts davon bemerkt.
    Die Trauer – und das Entsetzen über sich selbst erfassen ihn wie ein Orkan, reißen ihn weg von Katie – und von einem Leben, das möglich gewesen wäre. Er sieht hinauf in den Himmel. Warum, Herr, musstest du mich so prüfen? Ich habe versagt. Aber warum musste ein anderer deswegen sterben? Und auf einmal packt ihn der Zorn. »Warum hast du das zugelassen!«, schreit er. »Was bist du für ein grausamer Gott!«
    Katie macht sich abrupt los. »Hal … Was ist los mit dir?« Erschrocken sieht sie ihn an.
    Er zieht die kalte Schneeluft ein, bis sein Hals und seine Lungen brennen und seine Augen tränen.
    »Ich habe etwas Schreckliches getan, Katie.« Seine Worte reißen die Folie weg, die ihn von der Welt getrennt hat. »Etwas, das ich nie wiedergutmachen kann.«
    »Gott verzeiht dir, Hal, du hast selbst gesagt, Gott verzeiht, wenn man bereut.« Katie drückt seine Hand.
    Wie gern würde er ihr glauben. Es gibt Dinge, die verzeiht Gott nicht, will er sagen, während der Vogelschwarm seinen riesenhaften Schatten über sie legt. Grauen erfasst ihn, und er zieht Katie wieder an sich, als könnte er sie dadurch retten.
    Katie zeigt hinauf in den Himmel. Die Wolke aus Tausenden schwarzer Vögel ändert blitzartig die Richtung, zieht nach Süden, dann schwenkt sie nach Norden, plötzlich schießt sie nach oben, dann stürzt sie wie im Blindflug ab, um gleich wieder wie von einer unsichtbaren Kraft emporgerissen zu werden.
    »Hal!« Sie krallt sich in seine Schulter. »Sieh doch!« Wie von einem Strudel erfasst, wird die schwarze Vogelwolke nach unten gesogen, und im
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