Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Simulator

Der Simulator

Titel: Der Simulator
Autoren: Marco Lalli
Vom Netzwerk:
Einkaufstüten bepackt hindurchhasteten. »Mit dem Interface kann man sich nicht nur auf jede beliebige Einheit aufschalten, man kann auch den Simulator selbst betreten. Man schlüpft in einen leeren Körper - nennen Sie ihn Avatar - und kann sich frei im Simulator bewegen, als sei er eine echte Welt. Sie können essen, schlafen, mit anderen Einheiten sprechen…«
    »Sie beispielsweise befragen…«
    »…sie beispielsweise befragen. Aber das ist nicht die Aufgabe des Simulators. Wir werden nicht massenweise Interviewer da runter schicken.« Ich musste lachen. »Wir wollen unser Elend nicht exportieren. Außerdem wäre das viel zu aufwändig.«
    »Wie kommen Sie dann zu Ihren Ergebnissen?« Bartels hatte sich abgewandt und betrachtete eine weitere Reihe jetzt dunkler Monitore.
    »Hauptsächlich durch Beobachtung und Verhaltensmessung. Letztlich kommt es ja nicht darauf an, was die Leute denken, sondern darauf, was sie tun. Ob sie bestimmte Produkte tatsächlich kaufen, welche Partei sie tatsächlich wählen und so fort. Ich kann in einem Interview viel behaupten, kann sogar selbst daran glauben, aber entscheidend ist doch, was ich letztendlich tue .« Ich dachte an unsere eigene Welt, an die unzähligen Interviewer mit ihren Pads, an ihre Fragen nach dem Was-wäre-wenn, die so schwer zu beantworten waren. »Zwischen der Absicht und dem Verhalten klafft eine Lücke, die nur schwer zu überbrücken ist. Ein Abgrund, der so groß ist, dass es die traditionelle Marktforschung längst aufgegeben hat, sich mit dem Verhalten der Menschen zu beschäftigen.«
    »Wozu brauchen Sie dann überhaupt Avatare?« Bartels stand jetzt vor mir, die Hände in den Taschen.
    »Wir brauchen Informationen aus erster Hand. Einen unverfälschten, unmittelbaren Zugang zum Simulator. Inspektion, Kontrolle, nennen Sie es, wie Sie wollen. Unsere Avatare sind wie Hausmeister. Sie laufen herum, schauen, ob alles funktioniert, geben den Programmierern Anweisungen für kleine Reparaturen und Verbesserungen. Und sie reden mit den Reaktionseinheiten, mischen sich unter das Volk, ergründen Stimmungen und spüren Trends auf. Sie sind unsere Seismographen. Sollte dort unten jemals etwas schief laufen, möchten wir das so früh wie möglich wissen.«
    »Verstehe.« Bartels schien langsam das Interesse zu verlieren. Vielleicht hatte ihn der Simulator nie wirklich interessiert. »Und wo genau ist Blinzle, äh, ums Leben gekommen?« Er sah sich suchend um, aber in diesem Raum schien es nichts zu geben, was gefährlich genug ausgesehen hätte, einen Menschen zu töten.
    »Dazu müssten wir in den eigentlichen Rechnerraum.« Ich überlegte kurz. »Kommen Sie. Ich lasse aufschließen.«
    Neben dem Kontrollraum führte eine nackte Betontreppe nach unten. Hinter einer Panzertür standen die Rechner, blaue Metallschränke, die bis in Kopfhöhe reichten, dazwischen graue Schaltkästen, die über armdicke Kabel miteinander verbunden waren. Das Brausen der Lüfter erfüllte eine angenehm kühle Luft. Fast meinte man, eine frische Brise auf den Wangen zu spüren. Vereinzelt leuchteten grüne Kontrolllämpchen, ansonsten gab es wenig Licht, und der Raum versank schon nach wenigen Metern im Halbdunkel.
    »Das ist der Computer?« Bartels war kaum einen Meter hineingegangen. Die Einförmigkeit der Anordnung lud nicht dazu ein, die Gänge zu erkunden.
    »Es sind über 100.000 Prozessoren der neuesten Generation.« Ich klopfte auf das blaue Metall eines der Schränke. Es klang dumpf. »Sie sind mit Hochgeschwindigkeitsdatenbussen miteinander verbunden. Deshalb die Kabel.« Ständig fiel jemandem ein, wie man die Daten noch schneller übertragen konnte, und so wuchsen aus den Kästen immer neue Kabelstränge. Der nächste Schritt waren Supraleiter, aber dazu hätten wir noch mehr Energie gebraucht. »Ich glaube, es ist da hinten passiert.« Ich deutete auf eine riesige Schalttafel, die die Schränke auf der rechten Seite überragte. »Blinzle hatte offenbar eine der Verkleidungen abgenommen.«
    »Sie waren nicht dabei?«
    »Nein, ich war im Urlaub.«
    »Wo?«
    Einen Augenblick zögerte ich zu antworten. »Ich habe eine Hütte in den Bergen.«
    »Hier in der Gegend?« Die höchste Erhebung in der Nähe war der Königsstuhl mit etwas über 500 Höhenmetern. Kaum jemand hätte sie als Berg bezeichnet.
    »Nein, in der Schweiz.«
    Bartels pfiff leise durch die Zähne. »In der Schweiz?«
    Ich wusste, wie ungewöhnlich das in seinen Ohren klingen musste, beschloss aber, keine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher