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Der Sieger bleibt allein (German Edition)

Der Sieger bleibt allein (German Edition)

Titel: Der Sieger bleibt allein (German Edition)
Autoren: Paulo Coelho
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auf der Stirn durchschlägt. Jetzt erlischt allmählich sein Universum und mit ihm die Erinnerungen eines jungen Mannes, der davon träumte, jemand zu werden; es erlischt die Erinnerung an seine Ankunft in Paris, an seinen Vater in seinem Stoffladen, an den Scheich, an die vielen Kämpfe um einen Platz an der Sonne, an die Modenschauen, die Reisen, die Begegnung mit der geliebten Frau, an die glücklichen Tage, die Tage des Lächelns und der Tränen, an den letzten Mondaufgang, die Augen des Absoluten Bösen, die erschrockenen Augen seiner Frau – alles verschwindet.
     
    »Schrei jetzt nicht! Kein Wort! Beruhige dich!«
    Selbstverständlich wird sie nicht schreien, er braucht sie auch nicht darum zu bitten, sich zu beruhigen. Sie steht unter Schock. Ihr Blut fließt langsamer, ihr Gesicht wird blass, ihre Stimme versagt, ihr Blutdruck sinkt schlagartig. Er weiß genau, was sie fühlt – er hat das Gleiche damals im Krieg erlebt, als das Gewehr eines afghanischen Kriegers auf seine Brust gerichtet war. Totale Lähmung, Unfähigkeit zu reagieren. Er wurde nur gerettet, weil einer seiner Kameraden zuerst schoss. Er ist seinem Retter bis heute dankbar; alle halten ihn nur für seinen Chauffeur, wo er in Wahrheit doch Besitzer vieler Aktien seiner Gesellschaft ist. Sie reden immer miteinander, haben noch am heutigen Nachmittag miteinander gesprochen – Igor hatte ihn angerufen, um zu erfahren, ob Ewa sich gemeldet und hatte durchblicken lassen, dass sie die Botschaften erhalten hat.
    Ewa, arme Ewa. Ein Mann stirbt in ihrem Schoß.
    Die Menschen sind vorhersehbar; sie reagieren wie dieser Dummkopf, der hätte wissen müssen, dass er nicht die geringste Chance hat, Igor zu besiegen. Waffen sind unvorhersehbar; Igor hatte angenommen, die Kugel würde auf der anderen Seite des Kopfes wieder austreten, den Hirndeckel herausreißen, aber allem Anschein nach ist sie wegen des Einschusswinkels durchs Gehirn gedrungen, dann von einem Knochen ab- und in den Oberkörper weitergelenkt worden. Der nun unkontrolliert zittert, ohne sichtbar zu bluten.
    Es muss dieses Zittern sein, das Ewa in diesen Zustand versetzt hat, nicht der Schuss.
    Igor schiebt den Körper mit den Füßen weg und schießt Hamid in den Nacken. Das Zittern hört auf. Der Mann verdient einen würdigen Tod – er war tapfer bis zum Ende.
     
    Die beiden sind allein am Strand. Er kniet vor ihr und setzt die Pistole auf ihrer Brust auf. Ewa rührt sich nicht.
    Er hat sich das Ende dieser Geschichte immer anders vorgestellt: Sie würde die Botschaften verstehen. Ihrem Glück eine neue Chance geben. Er hatte sich überlegt, was er sagen würde, wenn sie schließlich allein wären und wie jetzt auf das ruhige Mittelmeer blickten, einander anlächelten und sich unterhielten.
    Auch wenn sie jetzt vollkommen nutzlos waren, er würde diese Worte nicht für sich behalten:
    »Ich habe mir immer vorgestellt, dass wir wieder Hand in Hand durch einen Park oder am Meer entlanggehen und einander all die immer wieder aufgeschobenen Liebesworte sagen würden. Dass wir einmal in der Woche auswärts essen, an Orte reisen würden, an denen wir zuvor nie gewesen waren, nur um gemeinsam Neues zu entdecken.
    Während du weg warst, habe ich Gedichte in ein Heft abgeschrieben, um sie dir ins Ohr zu flüstern, während du einschläfst. Ich habe Briefe geschrieben, in denen ich alles aussprach, was ich fühlte, und durch die mir klar wurde, dass ich dich keinen einzigen Tag, keine Minute lang vergessen könnte. Wir würden gemeinsam über das Haus sprechen, das ich nur für uns beide am Ufer des Baikalsees bauen würde; ich weiß, dass du dazu eine Reihe Vorschläge hattest. Ich plante einen privaten Flugplatz, wollte dir und deinem guten Geschmack die Ausstattung des Hauses überlassen. Dir, der Frau, die mein Leben gerechtfertigt und ihm einen Sinn gegeben hatte.«
    Ewa schweigt. Sie schaut aufs Meer.
    »Deinetwegen bin ich hierhergekommen. Und ich habe am Ende begriffen, dass alles nutzlos war.«
    Er drückt ab.
    Der Schuss ist kaum zu hören, weil der Lauf der Waffe auf den Körper gedrückt ist. Die Kugel durchschlägt den Körper an der richtigen Stelle, und das Herz hört sofort auf zu schlagen. Trotz aller Schmerzen, die sie ihm bereitet hatte, wollte er doch nicht, dass sie leiden müsste.
    Wenn es ein Leben nach dem Tod gab, gingen jetzt beide – die Frau, die ihn verraten hatte, und der Mann, der erlaubt hatte, dass dies geschah – Hand in Hand durch den Mondschein, der bis zum
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