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Der Sieger bleibt allein (German Edition)

Der Sieger bleibt allein (German Edition)

Titel: Der Sieger bleibt allein (German Edition)
Autoren: Paulo Coelho
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also besser, weiterzureden, ruhig zu bleiben und nach einem Ausweg zu suchen.
    »Was meinen Sie mit ›eine Welt zerstören‹?«, fragt er.
    »Es bedeutet einfach nur, ein Leben zu zerstören. Damit hört ein ganzes Universum auf. Alles, was der betreffende Mensch gesehen, erlebt hat, alle guten und bösen Dinge, die ihm auf seinem Weg widerfahren sind, all seine Träume, Hoffnungen, Niederlagen und Siege, all das hört auf zu sein. Als ich ein Kind war, haben wir in der Schule einen Text gelesen, von dem ich erst sehr viel später erfuhr, dass er von einem protestantischen Geistlichen stammt. Darin hieß es in etwa: ›Wenn dieses Meer, das vor uns liegt, ein Sandkorn in seine Tiefen mitnimmt, wird ganz Europa kleiner.‹ Selbstverständlich bemerken wir das nicht, denn es ist nur ein Sandkorn. Aber in diesem Augenblick wird der Kontinent verkleinert.«
    Igor macht eine Pause. Ihn ärgert der Lärm dort oben, die Wellen hatten ihn beruhigt, bereit gemacht, diesen Augenblick mit dem ihm gebührenden Respekt auszukosten. Der Engel mit den dichten Augenbrauen ist die ganze Zeit anwesend und freut sich über das, was er sieht.
    »Wir mussten diesen Text lernen, um zu begreifen, dass wir für die vom Kommunismus getragene vollkommene Gesellschaft mitverantwortlich waren«, fährt er fort. »Alle Menschen sind Brüder, heißt es. Tatsächlich aber war jeder der Bewacher oder Verräter des anderen.«
    Igor beruhigt sich, ist nachdenklich.
    »Ich kann Sie schlecht verstehen«, sagt Hamid und hofft, einen Vorwand gefunden zu haben, sich zu Igor rüberzubeugen und Ewa aus der Schusslinie zu bekommen.
    »Selbstverständlich verstehen Sie mich. Selbstverständlich wissen Sie, dass ich eine Waffe in der Hand habe, und wollen sie mir jetzt wegnehmen. Sie versuchen, mich in ein Gespräch zu verwickeln, um mich abzulenken, während Sie sich überlegen, was Sie als Nächstes tun sollen. Ab jetzt bitte keine Bewegung mehr. Der Augenblick ist noch nicht reif.«
    »Igor, lassen wir das doch alles!«, sagt Ewa auf Russisch. »Ich liebe dich. Lass uns zusammen weggehen.«
    »Sprich englisch. Dein Lebensgefährte soll alles mitbekommen.«
    Hamid wird verstehen, wie sie das meint. Später wird er ihr dafür danken.
    »Ich liebe dich«, wiederholt sie auf Englisch. »Ich habe deine Botschaften nie erhalten, sonst wäre ich sofort zu dir zurückgekommen. Ich habe mehrfach vergeblich versucht, dich zu erreichen. Habe deiner Sekretärin Nachrichten für dich hinterlassen, aber du hast nie zurückgerufen.«
    »Das stimmt.«
    »Als heute eine sms nach der anderen von dir eintraf, konnte ich es nicht erwarten, dich wiederzusehen. Ich hatte keine Ahnung, wo du bist, wusste aber, dass du mich finden würdest. Ich weiß, dass du mir nicht verzeihen willst. Aber erlaube mir wenigstens, an deine Seite zurückzukehren. Ich werde deine Dienerin, deine Putzfrau sein, mich um dich und deine Geliebte kümmern, falls du beschließen solltest, dir eine anzuschaffen. Ich will nur an deiner Seite sein.«
    Später wird sie Hamid alles erklären. Jetzt muss sie irgendetwas sagen, nur damit sie hier weg- und wieder nach oben kommen, in die reale Welt zurückkehren können, wo es Polizisten gibt, die verhindern können, dass das Absolute Böse weiter seinen Hass zeigt.
    »Großartig. Ich würde dir gern glauben. Besser gesagt, ich würde gern glauben, dass auch ich dich liebe und dich wieder zurückhaben möchte. Aber das stimmt nicht. Ich glaube, du lügst, so wie du immer gelogen hast.«
    Hamid hört schon nicht mehr, was beide sagen – er ist in Gedanken weit weg bei seinen Vorfahren, den Kriegern, und bittet sie um Eingebung für den richtigen Angriffsschlag.
    »Du hättest mir sagen können, dass unsere Ehe nicht so lief, wie wir es beide erhofften. Wir haben so vieles gemeinsam aufgebaut; konnten wir dann nicht auch gemeinsam eine Lösung für unsere Probleme finden? Es gibt immer Mittel und Wege, das Glück wieder hereinzulassen, doch das bedingt, dass beide Partner die Existenz ihrer Probleme auch anerkennen. Ich hätte mir alles angehört, was du mir hättest sagen wollen. Unsere Ehe wäre wieder aufregend und voller Freude wie nach unserer ersten Begegnung geworden. Aber das wolltest du nicht. Du hast den einfacheren Weg vorgezogen.«
    »Ich hatte immer Angst vor dir. Und jetzt, wo du diese Waffe in der Hand hältst, habe ich noch mehr Angst.«
    Ewas Bemerkung holt Hamid abrupt ins Hier und Jetzt zurück.
    Sie hätte das nicht sagen dürfen, denn damit
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