Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der siebente Sohn

Der siebente Sohn

Titel: Der siebente Sohn
Autoren: Orson Scott Card
Vom Netzwerk:
Hoffnung mehr.
    Nur Vigor wußte nicht, daß es eigentlich keine Hoffnung gab. Der Junge sprang hinaus, als der Baum nur noch eine Elle entfernt war. Sein Körper prallte gegen das Wurzelwerk, und der Stamm driftete ab, weg vom Planwagen. Der Baum riß Vigor mit. Der Junge verschwand, tauchte unter im schäumenden Wasser, aber das Wunderbare geschah – der Baum verfehlte den Wagen, nur ein paar Aste versetzten ihm einen leichten ungefährlichen Stoß.
    Der Baumstamm krachte gegen einen Felsen am Ufer. Alvin war zwar fünf Ellen davon entfernt, doch später sollte er es in seiner Erinnerung stets so sehen, als hätte er genau daneben gestanden. Der Baum schlug Vigor gegen den Felsen. Nur einen Herzschlag lang, der eine Ewigkeit dauerte, öffneten sich Vigors Augen vor Schmerz und Entsetzen. Blut schoß ihm aus dem Mund, spritzte auf den Baum, der ihn tötete. Im nächsten Moment riß der Hatrack River den Baum wieder mit sich. Vigor glitt unter Wasser, nur sein lebloser Arm blieb im Wurzelwerk hängen und ragte aus dem Wasser, auf daß alle ihn sehen konnten, wie die Hand eines Nachbarn, der nach einem Besuch zum Abschied winkte.
    Alvin war so gebannt vom Anblick seines sterbenden Sohnes, daß er nicht bemerkte, was mit ihm selbst geschah. Der Stoß des Baumstamms hatte die festgefahrenen Räder gelöst. Die Strömung nahm den Planwagen auf, riß ihn stromabwärts, während Alvin sich an der hinteren Klappe festhielt und während Faith im Inneren weinte und Eleanor auf dem Fahrersitz sich die Lunge aus dem Leib schrie und die Jungen am Ufer »Halten! Halten! Halten!« riefen.
    Das Seil hielt, ein Ende an einen kräftigen Baum gebunden, das andere Ende am Wagen festgemacht. Der Fluß konnte den Wagen nicht mit sich reißen; statt dessen trieb er ihn gegen das Ufer, wo der Wagen zitternd zum Halten kam.
    »Es hat gehalten!« riefen die Jungen.
    »Gott sei Dank!« schrie Eleanor.
    »Das Baby kommt«, flüsterte Faith.
    Doch Alvin vernahm immer nur den einzigen, matten Schrei, der das letzte Geräusch aus der Kehle seines Erstgeborenen gewesen war, sah immer nur, wie sein Junge sich an den Baum geklammert hatte und fort, gegen die Felsen gerissen worden war, und alles, was er noch sagen konnte, war ein einziges Wort, ein einziger Befehl. »Lebe!« murmelte er. Vigor hatte ihm früher immer gehorcht. Ein harter Arbeiter, ein williger Gefährte, mehr ein Freund oder ein Bruder als ein Sohn. Doch dieses Mal wußte er, daß sein Sohn nicht gehorchen würde. Dennoch flüsterte er immer wieder: »Lebe!«
    »Sind wir in Sicherheit?« fragte Faith mit bebender Stimme.
    Alvin drehte sich zu ihr um, versuchte, den Gram aus seiner Miene zu vertreiben. Es hatte keinen Sinn, sie wissen zu lassen, welchen Preis Vigor bezahlt hatte, um sie und das Baby zu retten. Nachdem das Kind geboren worden war, würde sie es früh genug erfahren. »Kannst du aus dem Wagen klettern?«
    »Was ist los?« fragte Faith, sein Gesicht musternd.
    »Ich habe mich erschreckt. Der Baum hätte uns umbringen können. Kannst du jetzt heruntersteigen, nun, da wir am Ufer sind?«
    Eleanor beugte sich vom vorderen Teil des Wagens zurück. »David und Calm sind am Ufer, sie können dir hinaufhelfen. Das Seil hält zwar noch, Mama, aber wer weiß schon, wie lange?«
    »Komm schon, Faith, es ist nur ein Schritt«, sagte Alvin. »Wir kommen besser mit dem Wagen zurecht, wenn wir wissen, daß du am Ufer in Sicherheit bist.«
    »Das Baby will kommen«, sagte Faith leise.
    »Besser am Ufer als hier«, erwiderte Alvin scharf. »Geh jetzt!«
    Faith stand auf und kletterte unbeholfen nach vorn. Alvin stieg hinter ihr in den Wagen, um ihr zu helfen, falls sie stolpern sollte. Sogar er konnte sehen, wie sehr ihr Bauch sich gesenkt hatte.
    Am Ufer standen inzwischen nicht mehr nur David und Calm, sondern auch fremde, große Männer mit Pferden. Sogar ein kleiner Wagen stand bereit. Alvin hatte keine Vorstellung, wer diese Männer waren oder woher sie gewußt hatten, daß er und seine Frau Hilfe brauchten, doch er hatte keine Zeit, um lange nachzudenken. »Ihr Männer! Gibt es im Gasthaus eine Hebamme?«
    »Goody Guester kümmert sich um Geburten«, sagte ein großer Mann mit Armen so dick wie Ochsenschenkel. Bestimmt ein Hufschmied.
    »Könnt ihr meine Frau in diesem Wagen mitnehmen? Wir haben keinen Augenblick zu verlieren.«
    Alvin wußte, daß es sich eigentlich nicht schickte, wenn Männer so offen über eine Geburt sprachen, noch dazu vor der Frau, die kurz vor der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher