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Der siebente Sohn

Der siebente Sohn

Titel: Der siebente Sohn
Autoren: Orson Scott Card
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ausgefressen.«
    »Ich habe es einmal vergessen, Papa«, sagte Kleinpeggy. »Es ist ein böses altes Huhn, und es haßt mich.«
    Papa antwortete sanft und langsam. »Einmal«, sagte er.
    Dann holte er die Hand hinter dem Rücken hervor. Nur daß er darin nicht etwa nur ein Ei hielt, sondern gleich einen ganzen Korb. Und dieser Korb war voll von altem, klebrigem Stroh, fauligen Eiern und zwei oder drei toten, stinkenden Kükenkörpern.
    »Mußtest du das unbedingt vor dem Frühstück ins Haus bringen, Horace?« fragte Mama.
    »Ich weiß nicht, was mich wütender macht«, sagte Horace. »Was sie ausgefressen hat, oder wie sie versucht zu lügen.«
    »Ich habe nicht versucht, zu lügen«, rief Kleinpeggy. Jedenfalls wollte sie es rufen. Was tatsächlich hervorkam, klang ganz verdächtig wie Weinen, obwohl Kleinpeggy erst gestern beschlossen hatte, den Rest ihres Lebens nie wieder zu weinen.
    »Siehst du?« sagte Mama. »Sie fühlt sich bereits schlecht.«
    »Sie fühlt sich schlecht, weil sie erwischt wurde«, sagte Horace. »Du bist zu nachsichtig mit ihr, Peg. Sie besitzt einen lügnerischen Geist. Ich will nicht, daß meine Tochter aufwächst und böse wird. Lieber würde ich sie tot sehen wie ihre kleinen Schwestern, bevor ich sie böse aufwachsen sehen möchte.«
    Kleinpeggy sah, wie Mamas Feuer im Herzen von der Erinnerung aufflackerte; vor ihren Augen erblickte sie ein Baby, das hübsch in einer kleinen Kiste gelegt war, und dann ein weiteres, nur nicht ganz so hübsch, weil es das zweite Baby Missy war, das an Pocken gestorben war. Niemand hatte es berührt, bis auf seine eigene Mama, die selbst noch so geschwächt von den Pocken gewesen war, daß sie nicht viel hatte tun können. Kleinpeggy sah diese Szene, und sie wußte, daß Papa einen Fehler begangen hatte, zu sagen, was er gesagt hatte. Mamas Miene wurde eisig, obwohl ihr Herzensfeuer brannte.
    »Das ist das Bösartigste, was man jemals in meiner Gegenwart gesagt hat«, sagte Mama. Dann nahm sie den stinkenden Korb vom Tisch und trug ihn hinaus.
    »Bloody Mary beißt mir in die Hand«, sagte Kleinpeggy.
    »Wir werden schon sehen, was hier beißt«, sagte Papa. »Dafür, daß du die Eier hast liegenlassen, gebe ich dir einen Hieb, weil ich schätze, daß diese verrückte Henne für ein froschgroßes Mädchen wie dich wirklich furchterregend aussehen muß. Aber für das Lügen bekommst du zehn Hiebe.«
    Die kleine Peggy begann bitterlich zu weinen. Ihr Papa pflegte in allem hart und gerecht auszuteilen, ganz besonders aber beim Hauen.
    Papa holte die Haselgerte hervor. Er bewahrte sie auf einem Regal auf, seit Kleinpeggy die alte ins Feuer geworfen hatte.
    »Ich höre mir von dir lieber tausend harte und bittere Wahrheiten an, Tochter, als eine einzige schonende und leichte Lüge«, sagte er, dann beugte er sich vor und schlug mit der Gerte auf ihre Waden ein. Klatschklatschklatsch, sie zählte jeden einzelnen Hieb; sie stachen ihr ins Herz und waren so voller Zorn. Das schlimmste daran war, daß sie wußte, wie ungerecht es war, denn sein Herzfeuer loderte immer aus einem völlig anderen Grund. Papas Haß auf Bösartigkeit entsprang stets seiner geheimsten Erinnerung. Kleinpeggy verstand nicht alles, weil es so verzerrt und verwirrt war, und Papa erinnerte sich selbst nicht mehr genau daran. Alles, was Kleinpeggy jemals deutlich zu sehen bekam, war, daß es sich um eine Dame handelte, und zwar nicht um Mama. Papa dachte immer an diese Dame, wann immer etwas schieflief. Als Baby Missy an überhaupt nichts gestorben war, und dann das nächste Baby, das ebenfalls Missy genannt worden war, an den Pocken starb, und dann, als die Scheune einmal abbrannte und als eine Kuh starb – alles, was jemals schieflief, ließ ihn an diese Dame denken, und dann begann er davon zu reden, wie sehr er das Böse verabscheute. In solchen Zeiten peitschte die Haselgerte hart und scharf.
    Ich würde lieber tausend harte und bittere Wahrheiten hören, hatte er gesagt, doch Kleinpeggy wußte, daß es eine Wahrheit gab, die er niemals hören wollte, daher behielt sie sie für sich. Sie würde sie ihm nie entgegenschreien, selbst wenn es ihn dazu brächte, die Haselgerte zu zerbrechen, denn immer, wenn sie daran dachte, etwas über diese Dame zu sagen, sah sie vor ihrem geistigen Auge ihren Vater als Toten, und das war etwas, was sie niemals in Wirklichkeit sehen wollte.
    Außerdem hatte die Dame, die sein Herzensfeuer heimsuchte, gar keine Kleider an, und Kleinpeggy wußte, daß sie
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