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Der siebente Sohn

Der siebente Sohn

Titel: Der siebente Sohn
Autoren: Orson Scott Card
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ihre Miene legte wie ein dicker Samtvorhang. »Ich schätze, Ihr wollt mich damit wohl nicht fragen, ob ich eine Brille brauche«, meinte sie.
    »Ich habe mir nur Gedanken über ein Mädchen gemacht, das mir einst in mein Buch hineinschrieb: ›Ein Macher ist geboren.‹ Ich fragte mich, ob sie noch immer ein Auge auf diesen Macher behält, so dann und wann, um zu sehen, wie es ihm ergeht.«
    Sie wandte den Blick ab und sah zu dem hohen Fenster hinauf. Die Sonne stand niedrig, und der Himmel draußen war grau, doch ihr Gesicht war voller Licht, wie Geschichtentauscher recht genau bemerkte. Manchmal brauchte man keine Fackel zu sein, um in das Herz eines Menschen zu blicken.
    »Ich frage mich auch, ob diese Fackel einmal einen Dachbalken gesehen hat, der auf ihn stürzte«, sagte Geschichtentauscher.
    »Ob sie das wohl getan hat«, sagte sie.
    »Oder einen Mühlstein.«
    »Könnte sein.«
    »Und ich frage mich, ob sie nicht irgendeine Möglichkeit gehabt hat, diesen Dachbalken säuberlich in zwei Stücke zu teilen und diesen Mühlstein auseinanderbrechen zu lassen, damit ein gewisser alter Geschichtentauscher eine Laterne mitten durch diesen Stein hindurchscheinen sehen konnte.«
    Tränen glitzerten in ihren Augen, nicht, daß sie gleich weinen würde, aber sie sah direkt in die Sonne hinein. »Ein Stück seines Mutterkuchens, in Staub gerieben, und man kann die eigene Kraft des Jungen zu einigen unbeholfenen Zaubern verwenden«, sagte sie leise.
    »Aber nun versteht er ein wenig von seinem eigenen Talent, und er hat aufgelöst, was du für ihn getan hast.«
    Sie nickte.
    »Es muß einsam sein, ihn aus solcher Ferne zu beobachten«, sagte Geschichtentauscher.
    Sie schüttelte den Kopf. »Nicht für mich. Ich habe die ganze Zeit Leute um mich.«
    Dann sah sie Geschichtentauscher an und lächelte trüb. »Es ist fast eine Erholung, etwas Zeit mit diesem Jungen zu verbringen, der nicht das geringste von mir will, weil er nicht einmal weiß, daß ich existiere.«
    »Ich weiß es aber«, sagte Geschichtentauscher. »Und ich will auch nicht das geringste von dir.«
    Sie lächelte. »Ihr alter Betrüger«, sagte sie.
    »Also gut, ich will doch etwas von dir, aber nichts für mich selbst. Ich bin diesem Jungen begegnet, und auch wenn ich nicht in sein Herz hineinblicken kann wie du, so glaube ich doch, daß ich ihn kenne. Ich glaube, daß ich weiß, was er werden könnte, was er tun könnte, und ich möchte, daß du weißt, daß du, solltest du jemals meine Hilfe in irgendeiner Weise brauchen, mir nur mitzuteilen brauchst, was ich tun soll, und wenn es in meiner Macht steht, so werde ich es tun.«
    Sie antwortete nicht, sah ihn auch nicht an.
    »Bisher brauchtest du keine Hilfe«, fuhr Geschichtentauscher fort, »aber nun hat er seinen eigenen Willen, und da wirst du für ihn nicht immer die Dinge tun können, die er braucht. Die Gefahren werden nicht immer nur von Dingen herrühren, die auf ihn herabstürzen oder ihn körperlich verletzen. Er befindet sich in ebenso großer Gefahr vor dem, was er selbst zu tun beschließt. Ich sage dir nur, wenn du eine solche Gefahr erkennen solltest und mich brauchst, um dir zu helfen, so werde ich kommen, egal was geschehen mag.«
    »Das ist mir ein Trost«, sagte sie. Ihre Worte waren ehrlich gemeint, wie Geschichtentauscher wußte; doch sie fühlte noch mehr, als sie sagte. »Und ich wollte dir mitteilen, daß er hierher kommt, am ersten April, um eine Lehre bei dem Schmied zu beginnen.«
    »Ich weiß, daß er kommt«, sagte sie, »aber es wird nicht am ersten April sein.«
    »Ach nein?«
    »Oder überhaupt in diesem Jahr.«
    Die Furcht um den Jungen stach Geschichtentauscher ins Herz. »Ich schätze, ich bin wohl doch gekommen, um die Zukunft kennenzulernen. Was steht ihm bevor? Was wird kommen?«
    »Es können alle möglichen Dinge geschehen«, sagte sie, »und ich wäre eine Närrin, zu raten, was genau passiert. Ich sehe die ganze Zeit tausend offene Wege vor ihm. Aber es gibt nur sehr wenige davon, die ihn bis zum April hierherführen werden, aber sehr viele, an deren Ende er tot daliegt, mit der Axt eines Roten Mannes im Schädel.«
    Geschichtentauscher lehnte sich über den Schreibtisch des Doktors und legte seine Hand auf ihre. »Wird er überleben?«
    »Solange ich noch einen Atemzug tun kann«, erwiderte sie.
    »Und ich auch«, antwortete er.
    Schweigend saßen sie einen Augenblick da, schauten einander an, eine Hand auf die andere gelegt, bis sie plötzlich in Lachen ausbrach
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