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Der siebente Sohn

Der siebente Sohn

Titel: Der siebente Sohn
Autoren: Orson Scott Card
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Vergebung bittet, weil er bei der Ausführung dieses Verbrechens versagt hat!
    Plötzlich aber hörte Thrower auf zu beten. Er war so heiser und sein Gesicht war so rot, daß Brustwehr schon an einen Schlag glaubte. Aber nein, Thrower hob den Kopf, als würde er jemandem lauschen. Brustwehr lauschte ebenfalls, und er konnte auch etwas hören, wie Leute, die in einem Windsturm sprachen, so daß man nie genau verstand, was sie sagten.
    Eine Vision, dachte Brustwehr. Reverend Thrower hat gerade eine Vision.
    Und tatsächlich begann Thrower zu sprechen, und die leise Stimme antwortete, und schon bald drehte Thrower sich um seine eigene Achse, immer herum, schneller und schneller, als würde er etwas an den Wänden beobachten. Brustwehr versuchte festzustellen, was er beobachtete, konnte es aber nie ausmachen. Es war wie ein Schatten, der sich über die Sonne zog – man konnte ihn weder kommen noch gehen sehen, doch für eine Sekunde lang war es dunkler und kälter.
    Dann hörte das Schattenspiel auf. Brustwehr sah ein Schimmern in der Luft, ein Aufblitzen hier und dort, wie wenn eine Glasscheibe das Sonnenlicht einfing. Ob Thrower die Herrlichkeit Gottes schaute, wie Moses es getan hatte? Unwahrscheinlich, wenn man das Gesicht des Pfarrers ansah. Brustwehr hatte noch nie ein solches Gesicht gesehen. Wie das Gesicht eines Mannes aussehen mochte, der zusehen mußte, wenn sein eigenes Kind getötet wurde.
    Das Schimmern und das Glitzern verschwanden. Die Kirche war wieder still. Brustwehr wollte auf Thrower zulaufen und ihn fragen: Was habt Ihr gesehen! Was war es für eine Vision! War es eine Prophezeiung?
    Aber Thrower machte nicht den Eindruck, als würde er jetzt gerne Fragen beantworten. Er sah aus, als wünschte er zu sterben. Ganz langsam schritt der Prediger von dem Altar fort. Er schlenderte zwischen den Bänken umher, stieß manchmal dagegen, achtete nicht darauf, wohin sein Körper sich bewegte, es war ihm gleichgültig. Schließlich hielt er vor dem Fenster inne, mit dem Gesicht dem Glas zugewandt, doch Brustwehr wußte, daß er nichts sah, er stand einfach nur da, die Augen weit geöffnet, sah aus wie der Tod.
    Reverend Thrower hob die rechte Hand, die Finger gespreizt, und legte seine Handfläche auf eine Glasscheibe.
    Er drückte zu. Er drückte und schob so fest, daß Brustwehr glaubte, das Glas müsse jeden Moment zerspringen. »Hört auf!« schrie Brustwehr. »Ihr werdet Euch schneiden!«
    Thrower gab nicht einmal das leiseste Anzeichen, daß er ihn gehört hatte, sondern drückte weiter seine Hand gegen das Fenster. Brustwehr begann, auf ihn zuzugehen. Muß diesen Mann doch aufhalten, bevor er das Glas zerbricht und sich den Arm aufschneidet.
    Mit einem Krachen zerbrach die Scheibe. Throwers Arm fuhr bis zur Schulter hindurch. Der Prediger lächelte. Er zog seinen Arm wieder ein Stück in die Kirche hinein und stieß seine Hand in die Glasscherben im Fensterrahmen.
    Brustwehr versuchte, Thrower vom Fenster fortzureißen, doch der Mann hatte eine Kraft an sich, wie Brustwehr sie noch nie erlebt hatte. Schließlich mußte er ihn zu Boden werfen. Überall war Blut verspritzt. Brustwehr packte Throwers Arm, der von oben bis unten mit Blut besudelt war. Der Priester versuchte, sich von ihm fortzurollen. Brustwehr hatte keine Wahl. Zum ersten Mal, seit er ein Christenmensch geworden war, ballte er die Hand zur Faust, hieb sie Thrower unter das Kinn und schlug ihn ohnmächtig.
    Muß die Blutung aufhalten, dachte Brustwehr. Doch zuerst mußte er das Glas herausholen. Manche der großen Stücke ragten gut sichtbar aus dem Fleisch, er brauchte sie nur herauszuziehen. Doch andere, kleinere Scherben zumeist saßen tief; sie waren kaum zu erkennen und außerdem schleimig von Blut, so daß er sie auch kaum zu fassen bekam. Doch endlich hatte er alles Glas entfernt, das er finden konnte. Zum Glück strömte aus keiner der Wunden Blut. Brustwehr zog sein Hemd aus, so daß er nun bis zur Hüfte nackt war, während durch das zerbrochene Fenster der kalte Wind hereinwehte, doch er bemerkte es kaum. Er riß das Hemd einfach in Streifen, um damit die Wunde zu verbinden. Dann setzte er sich und wartete darauf, daß Thrower erwachte.
    Thrower stellte überrascht fest, daß er nicht tot war. Er lag mit dem Rücken auf einem harten Boden, mit einem schweren Tuch bedeckt. Sein Kopf schmerzte. Sein Arm schmerzte noch schlimmer. Er erinnerte sich, wie er versucht hatte, diesen Arm zu zerschneiden, und er wußte, daß er es erneut
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