Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Seher des Pharao

Der Seher des Pharao

Titel: Der Seher des Pharao
Autoren: Pauline Gedge
Vom Netzwerk:
Tempel den Beutel öffnest.«
    Huy heulte auf. »Aber ich will meine Feigen noch essen!«
    Als Antwort ging der Vater um den Tisch herum, setzte sich wieder auf sein Kissen und goss sich Wein nach. Itu erhob sich mit Huy auf dem Arm. »Ich weiß, dass du recht hast, mein Gemahl«, sagte sie mit heiserer Stimme. »Aber wie jede Mutter wünsche ich mir, er würde ewig ein kleiner Junge bleiben.«
    Als alter Mann, in ganz Ägypten gefürchtet und verehrt und reicher, als es sich außer dem König keiner erträumen konnte, sollte Huy dereinst über diese Worte nachdenken. Doch jetzt stand er nur trotzig da, während seine Mutter ihn wusch und abtrocknete. Dann legte sie ihn in sein Bett und zog das Laken über ihn. »Kleiner Bruder«, sagte sie leise und benutzte den zärtlichsten Kosenamen, den sie kannte, »du wirst in der Schule Lesen und Schreiben lernen. Ich kann beides nicht. Du wirst klüger sein als ich. Ist das nicht schön?« Als Antwort drehte er ihr den Rücken zu. Er hörte, wie sie seufzte, zum Fenster ging und die Läden schloss. Das gedämpfte Licht des Sonnenuntergangs verschwand. Sie kam zurück und küsste ihn aufs Haar. »Neben dem Bett steht Wasser«, sagte sie. »Du hast vielleicht Durst heute Nacht. Dein Vater hätte dir keinen starken Wein geben sollen, aber dadurch geht es dir besser, nicht wahr? Er weiß eben immer, was am besten für uns ist, Huy. Schlaf jetzt. Morgen ist dein Namensgebungstag. Freu dich darauf.«
    Hapsefa kam herein, nahm die Waschschüssel mit dem schmutzigen Wasser mit und wünschte ihm gute Nacht. Endlich war er allein. Er drehte sich wieder auf den Rücken und starrte die Decke an. Der getünchte Putz wies mehrere interessante Risse auf, die sich über seinem Kopf schlängelten. In den meisten Nächten stellte er sich vor, einer davon sei der Fluss, und er würde auf ihm nach Norden segeln. Er war der Große Königliche Piratenjäger und verfolgte mit seiner Mannschaft die Lykier, versenkte ihre Schiffe und verschleppte sie nach Weset, wo ihn ein dankbarer König belohnte.
    Heute Abend erschienen ihm in der zunehmenden Dunkelheit alle Risse wie Straßen nach Iunu, einer Stadt, von der Huy nur eine vage Vorstellung hatte und wo sich ein Tempel des großen Gottes Re befand. Er wollte gar nicht daran denken. Vielleicht sollte ich weglaufen, überlegte er. Dann bekommt Vater Angst, und es tut ihm leid, und er lässt mich für immer hierbleiben. Aber wohin soll ich gehen? Zu Onkel Ker? Nein, Onkel Ker ist es ja, der die Schule für mich bezahlen will. Vielleicht weiß Ischat, wo ich mich verstecken kann. Sie wohnt mit ihren Eltern in der Hütte jenseits des Gartens, aber sie geht oft mit ihrem Vater auf die Felder des Onkels oder mit Hapsefa auf den Markt, um Fisch und Fleisch für uns zu kaufen. Dann fiel ihm ein, was sein Vater über sein Benehmen Ischat gegenüber gesagt hatte. Er könnte wirklich netter zu ihr sein. Wahrscheinlich würde sie ihm aus Gehässigkeit nicht helfen, denn es machte ihm Spaß, sie zu ärgern und ihr Kreischen zu hören, wenn sie mit geschlossenen Augen einen Leckerbissen von ihm erwartete, er ihr aber stattdessen eine Eidechse oder einen Käfer in die Hand drückte.
    Bei Tagesanbruch weckte ihn Hapsefa mit seinem Frühstück, das aus Obst, Milch und Brot bestand. Er bedankte sich pflichtschuldig, und nachdem sie gegangen war, starrte er es tieftraurig an. Auch der Anblick der Feigen, die irgendjemand, wahrscheinlich seine Mutter, zu den dunklen Trauben und den gelben herzförmigen Perseafrüchten gelegt hatte, die immer dann reif wurden, wenn der Fluss anschwoll, konnte ihn nicht aufheitern. Das Sesambrot war noch warm und troff von Butter. Er hatte keinen Hunger, doch er wusste, es würde einen Wirbel geben, wenn er nichts aß. Also trank er die Milch und kaute die Trauben. Die Feigen schob er an den Tellerrand und legte die Brotscheibe darauf.
    Er blieb stumm, während er gewaschen und in seinen besten weißen Schurz gekleidet wurde. Seine Mutter trug weißes Leinen. Sie hatte ihr dunkles Haar geflochten und um den Kopf gelegt, und ein Nefer-Amulett schmückte ihren Hals. Nachdem sie Huys Sandalen gebunden hatte, schüttelte sie ein kleineres Amulett von ihrem Handgelenk und zog es über seinen Kopf, sodass es auf seinem Brustbein lag. »Der Ton wurde auf die richtige Weise gebrannt und rot bemalt«, sagte sie. »Möge es dir an deinem Namensgebungstag Freude und dein Leben lang Glück bringen. Ich liebe dich.«
    Huy betastete die Darstellung
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher