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Der Seher des Pharao

Der Seher des Pharao

Titel: Der Seher des Pharao
Autoren: Pauline Gedge
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war seine Heimstatt.
    Der Priester öffnete auf Hapus Klopfen und lächelte die drei an, die da in ihren besten Kleidern und mit einem Leinenbeutel, den Huy in der Hand hielt, vor ihm stand. »Also ist heute ein besonderer Tag?«, fragte er Huy. »Ist es der Jahrestag deiner Namensgebung?« Huy nickte. »Ist das dein Geschenk für Chenti-Cheti? Warte einen Moment, dann gehen wir zusammen zum Allerheiligsten.« Er verschwand und kam kurz darauf in ein langes weißes Gewand gehüllt und mit einer weißen Gerte zurück, an deren Spitze sich ein kleiner Krokodilkopf befand. »Gib mir deine Hand«, befahl er. Huy gehorchte.
    Die beiden gingen über den Hof und durch die Doppeltür aus Zedernholz, die offen stand, damit die Gläubigen das verschlossene Allerheiligste sehen konnten. Der Priester drehte sich um und schloss die beiden Türflügel, sodass Huy von Kühle und Dämmerlicht umfangen wurde. Nur vereinzelte Strahlen der Morgensonne fielen durch die Lichtschlitze oben unter dem Dach. Vor ihnen befand sich eine kleinere Doppeltür. Ehe der Priester sie öffnete, nahm er ein Räuchergefäß, das an der Wand lehnte, entzündete die Holzkohle und gab ein paar Stückchen Räucherharz hinein. Er fragte Huy nach seinem Namen. »Kennst du welche von den Dankgebeten?«, wollte er wissen, gab sich aber gleich selbst die Antwort. »Wahrscheinlich nicht, denn ich habe deine Familie hier noch nie gesehen. Also werde ich sie sagen, und du sprichst sie mir nach. Kannst du das?«
    Huy nickte. Der dünne graue Rauch kräuselte sich in der Luft. Huy nahm den Geruch auf. Er gefiel ihm, war weder süß noch bitter. Der Priester sah, wie Huy den Hals reckte, um den Duft mit halb geschlossenen Augen einzusaugen. »Hast du noch nie Weihrauch gerochen? Deine Eltern gehen an den Feiertagen für Chenti-Cheti wohl nicht mit dir zum Schrein.« Der Priester seufzte. »Weihrauch wird nur an ganz besonderen Tagen benutzt. Er ist sehr teuer, denn er kommt von weit her, von dort, wo es nie regnet. In den mächtigen Tempeln von Iunu, Aptu und Mennofer dürfen sich die Götter jeden Tag daran erfreuen.«
    »Ich soll nach der Nilschwemme in Iunu in die Schule gehen«, stieß Huy hervor. »Ich will aber nicht. Ich habe Angst.«
    Der Priester setzte das Räuchergefäß vorsichtig auf den Steinboden, beugte sich zu Huy und legte eine Hand auf die schmale Schulter des Jungen. »Natürlich willst du nicht«, pflichtete er ihm bei. »Zu Hause ist alles vertraut. Da kennst du die Leute, die Zimmer in eurem Haus, jeden Winkel des Gartens. Und Iunu? So heißt eine Stadt, die du dir nicht vorstellen kannst, voll mit Leuten, die du nicht kennst, mit Fremden, die Dinge von dir erwarten, die du dir nicht zutraust. Nicht wahr?« Huy nickte kläglich. Die Hand umfasste sein Kinn. »Aber du wirst gehen, kleiner Huy, denn du bist kein Feigling und weil es in Iunu, auch wenn du das noch nicht weißt, so viel Spannendes zu sehen und zu tun gibt. Du musst dich vor nichts fürchten, nur vor den Bildern in deinem Kopf, die dir weismachen wollen, wie unglücklich du sein wirst. Denn das tun sie doch, oder?«
    Huy blickte in das freundliche Gesicht. »Ja«, flüsterte er, »das tun sie.«
    »Nun, ein Stück weit stimmen sie auch.« Der Mann richtete sich auf. »Anfangs wirst du Heimweh haben. Du wirst dich sehr klein und ohnmächtig fühlen. Aber dann geschieht etwas Wunderbares. Du beginnst, die Geheimnisse des großen Gottes Thot zu verstehen, und alles ergibt einen Sinn.«
    Huys Augen wurden groß. »Welche Geheimnisse?«
    Der Priester nahm das Räuchergefäß wieder auf. »Stell deinen Beutel auf den Boden«, sagte er und legte Huys Finger um den langen Stab. »Halt es gerade«, mahnte er. »Weil heute dein Namensgebungstag ist, darfst du Ministrant sein. Die Geheimnisse von Thot beginnen mit der Beherrschung der heiligen Hieroglyphen, die er Ägypten geschenkt hat, damit wir nicht primitiv und unwissend wie die Tiere bleiben, sondern Würde und Edelmut schätzen lernen und im Paradies unter dem Isched-Baum sitzen können.«
    Das Räuchergefäß war nicht schwer, aber lang, sodass es für einen Vierjährigen nicht einfach war, es zu balancieren. »Meister, diese Worte verstehe ich nicht«, protestierte er.
    »Ich spreche vom Lesen und Schreiben«, erklärte der Mann. »Du wirst diese Fertigkeiten in Iunu erlernen, und du kannst dich deshalb sehr glücklich schätzen. Wissen ist Macht, Huy. Vergiss das nie. Und ich möchte, dass du mir etwas versprichst. Ich möchte, dass
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