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Der Seher des Pharao

Der Seher des Pharao

Titel: Der Seher des Pharao
Autoren: Pauline Gedge
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Mittelpunkt des Universums. Auf seinem Gesicht waren schon die Anzeichen künftiger Schönheit zu erkennen, und die Harmonie seines gesunden Körpers verlieh ihm unbewusst das Gefühl, unsterblich zu sein.
    Der Garten lag still und leer in der Nachmittagshitze. Huy trottete am Fischteich vorbei und schenkte dabei nur der ungebändigten Segge an seinem Rand und den Terrassen für Zwiebeln, Salat, Knoblauch und anderes Gemüse einen kurzen Blick. Er wusste, dass sich die Fische bis Sonnenuntergang tief unten im dunkleren, kühleren Wasser verbargen und selbst die Frösche unter den großen Blättern der blauen Seerosen Zuflucht suchten, wo er sie leicht fangen und ihre angenehm kühlen Körper auf seiner Handfläche spüren konnte, ehe er sie vorsichtig wieder auf ihre Seerosenblätter setzte und beobachtete, wie sie empört in die Tiefe sprangen. Seine Mutter hatte ihm eingeschärft, den Fröschen mit Ehrfurcht zu begegnen. Doch er behandelte die Frösche ohnehin vorsichtig, denn er liebte sie. Ebenso liebte er es, bäuchlings auf zusammengepressten Salat-und Kohlköpfen und schlanken Lauchstangen zu liegen, die feuchte, glitschige Erde zu spüren, das Gesicht ganz dicht über das geheimnisvolle, stumme Leben in dem grünen Wasser zu halten und die namenlosen Wesen zu beobachten, die unter ihm schwammen und zuckten.
    Mehr als einmal hatte Hapsefa ihn zurück auf das warme Gras gehoben und freundlich geschimpft. »Du tust dem Gemüse weh, junger Herr«, hatte sie gesagt. »Wenn du immer auf den Pflanzen liegst, sterben sie. Und was ist, wenn du in den Teich fällst und ertrinkst? Ich kann nicht die ganze Zeit auf dich aufpassen. Ich habe zu viele andere Dinge zu tun.«
    An diesem Tag suchte er den Schatten der hohen Mauer auf, die den Hausgarten von den weitläufigen Obstgärten und Beeten trennte, auf denen sein Vater und die Gärtner jene Pflanzen anbauten, die sein Onkel für die Parfümherstellung brauchte. Er setzte sich an die schützende Mauer und sammelte seine Tonsoldaten auf, die er am Tag zuvor im Gras liegen gelassen hatte. Der oberste Gärtner seine Onkels hatte sie für ihn gemacht, ein kleines Bataillon brauner Männer mit weiß bemalten Schurzen und gerippten Köpfen, um die kurzen schwarzen Perücken der Soldaten anzudeuten. Manche hielten Speere in Form geschnitzter Zweige in den starren Händen, andere umklammerten Tonschwerter. Und alle trugen winzige Lederstückchen als Schilde. Am kostbarsten war der Soldat mit dem gelben Schurz und dem blauen Helm und der aufgerichteten Schlange an der Stirn. Das war der König höchstpersönlich, der mächtige Men-cheper-Re Thutmosis, der Dritte mit diesem edlen Namen, der mit seiner Armee sofort nachdem er den heiligen Thron eingenommen hatte, nach Retenu gezogen war und nicht geruht hatte, bis er ein Imperium für sein geliebtes Ägypten geschaffen hatte. Siebzehn Jahre hatte er die kleinen Königreiche im Osten mit Krieg überzogen, Länder erobert und ihnen Verträge diktiert, sodass beständig Tribut der braven Vasallen in die königlichen Schatzkammern floss und Ägypten allmählich reich wurde. Das war jetzt sechsundzwanzig Jahre her. Der Sohn der Sonne erlebte gegenwärtig sein dreiundvierzigstes Jahr als Gott und sein siebzigstes Lebensjahr. Er residierte abgeschieden in seinem Palast weit im Süden in Weset, wo die Luft trocken und geruchlos war und die Wüste mit großen gelben Dünen direkt bis an die Felder am Fluss reichte. So hatte man es Huy jedenfalls erzählt. Ehrfürchtig stellte er die Figur des Guten Gottes hin und reihte seine Wachen hinter ihm auf. Der Feind versteckte sich in den nahegelegenen Büschen, doch mit seinen allmächtigen Ohren konnte der König sein Rascheln und Flüstern hören, und schon bald würde er ihn angreifen und in die Flucht schlagen.
    Das Rascheln wurde lauter, und Huy, der bäuchlings im Gras lag und den Kopf auf Höhe seiner Armee hatte, wurde ärgerlich. »Ich weiß, dass du das bist, Ischat«, rief er. »Geh weg. Ich will heute nicht mit dir spielen.« Der Befehl wurde ignoriert. Ischat kam zwischen den Büschen hervor und hockte sich neben Huy. Eine schmutzige kleine Hand griff nach einem von Huys Mannen. Huy schlug sie weg und setzte sich auf.
    »Du kannst doch den König behalten«, sagt Ischat. »Los, Huy. Ich bin wieder ein General. Du kannst mir die Schlachtbefehle geben.«
    »Nein.« Huy begann, die Spielzeugsoldaten einzusammeln. »Wenn du sie anfasst, werden sie schmutzig. Außerdem muss ich jetzt
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