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Der Seele schwarzer Grund: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)

Der Seele schwarzer Grund: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)

Titel: Der Seele schwarzer Grund: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)
Autoren: Susan Hill
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Sonnenschein und die Tatsache, dass alles frisch war. Sie entspannten sich und fühlten sich plötzlich sorglos, Fremde sprachen miteinander, wenn sie sich auf der Straße begegneten.
    Natalie Combs würde sich ebenfalls erinnern.
    »Ich kann Eds Auto hören.«
    »Nein, kannst du nicht, es ist das von Mr Hardesty, und jetzt komm runter, wir sind spät dran.«
    »Ich will Ed winken.«
    »Du kannst Ed von hier unten winken.«
    »Nein, ich …«
    »Komm RUNTER!«
    Kyras Haar hing ihr ins Gesicht, zerzaust vom Schlaf. Sie war barfuß.
    »Verdammt, Kyra, kannst du denn überhaupt nichts alleine machen? Wo ist deine Haarbürste, wo sind deine Schuhe?«
    Aber Kyra war ins Vorderzimmer gegangen, um aus dem Fenster zu sehen und zu warten.
    Natalie schüttete Schokofrosties in eine blaue Schüssel. Ihr blieben elf Minuten – um Kyra fertigzumachen, ihr eigenes Gesicht zu Ende zu schminken, ihre Sachen zusammenzusuchen, dafür zu sorgen, dass das dämliche Meerschweinchen Futter und Wasser bekam, und loszusausen. Was hatte sie sich bloß dabei gedacht. Ich will dieses Baby behalten?
    »Da ist Ed, da ist Ed …«
    Sie hütete sich, Kyra zu unterbrechen. Es war jeden Morgen dasselbe.
    »Wiedersehen, Ed … Ed …« Kyra schlug gegen die Scheibe.
    Ed hatte sich beim Abschließen der Haustür umgedreht. Kyra winkte. Ed winkte.
    »Wiedersehen, Kyra …«
    »Kann ich heute Abend zu dir kommen, Ed?«
    Doch das Auto war schon angesprungen. Kyra brüllte mit sich selbst.
    »Hör auf, so eine Nervensäge zu sein.«
    »Ed macht das nichts aus.«
    »Du hast mich gehört. Iss deine Cornflakes.«
    Aber Kyra winkte immer noch, winkte und winkte, bis Eds Auto um die Ecke bog und außer Sichtweite kam. Was hat Ed bloß an sich, verdammt?, überlegte Natalie. Trotzdem könnte es ihr eine halbe Stunde Zeit verschaffen, wenn sich Kyra nebenan reinmogeln konnte, um beim Blumengießen zu helfen oder einen Marsriegel vor Eds Fernseher zu verputzen.
    »Schlabber doch nicht so mit der Milch rum, Kyra, da, siehst du …«
    Kyra seufzte.
    Für eine Sechsjährige, dachte Natalie, hat sie bereits das Seufzen einer Diva.
    Die Sonne schien. Die Leute grüßten einander, stiegen in ihre Autos.
    »Sieh mal, sieh mal.« Kyra zerrte an Natalies Arm. »Da, in Eds Fenster, das Regenbogending dreht sich, schau, all die schönen Farben, die sich bewegen.«
    Natalie knallte die Autotür zu, öffnete sie, knallte sie noch einmal zu, was sie immer machen musste, sonst blieb sie nicht geschlossen.
    »Können wir auch so einen Regenbogenmacher fürs Fenster haben? Die sind wie aus dem Märchenland.«
    »Scheiße.« Natalie kam an der Kreuzung quietschend zum Stehen. »Pass doch auf, wo du hinfährst, du Arsch.«

    Kyra seufzte und dachte an Ed; kein Brüllen, kein Fluchen, nie. Sie beschloss, heute Abend hinüberzugehen und zu fragen, ob sie Pfannkuchen backen könnten.

    Die Sonne, die von der weißen Wand abstrahlte, weckte Max Jameson, helles, strahlendes Licht, das durch die Scheibe fiel. Er hatte das Loft wegen des Lichts gekauft – selbst an einem trüben Tag war der Raum davon erfüllt. Als er zum ersten Mal mit Lizzie hier gewesen war, hatte sie sich voller Entzücken umgeschaut.
    »Die alte Bortenfabrik«, hatte sie gesagt. »Warum heißt die so?«
    »Weil hier Borten hergestellt wurden. Lafferton-Borten waren berühmt.«
    Lizzie hatte ein paar Schritte gemacht und dann mitten im Raum einen kleinen Tanz aufgeführt.
    Das war das Loft – ein einziger Raum mit einer offenen Treppe zum Schlafzimmer und Badezimmer. Ein riesiger Raum.
    »Wie auf einem Schiff«, hatte sie gesagt.
    Max schloss die Augen, sah sie vor sich, den Kopf zurückgeworfen, das dunkle Haar herabhängend.
    Es gab eine Wand aus Glas. Keine Jalousie, keine Vorhänge. Nachts brannten Laternen unten in der schmalen Straße. Hinter der alten Bortenfabrik gab es nur noch den Treidelpfad und den Kanal. Beim zweiten Mal hatte er Lizzie abends hierhergebracht. Sie war direkt ans Fenster getreten.
    »Das ist das viktorianische England.«
    »Ein nachgemachtes.«
    »Nein. Nein, es ist echt. Es fühlt sich richtig an.«
    An der Wand hinten im Raum hing ihr Bild. Er hatte das Foto von Lizzie gemacht, allein am See in ihrem Hochzeitskleid, den Kopf genauso zurückgeworfen, die Haare herabhängend, aber diesmal mit weißen Blumen durchflochten. Sie blickte auf und lachte. Das Foto war an der weißen Wand auf drei Meter fünfundsechzig mal drei Meter vergrößert worden. Als Lizzie es zum ersten Mal
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