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Der Seele schwarzer Grund: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)

Der Seele schwarzer Grund: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)

Titel: Der Seele schwarzer Grund: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)
Autoren: Susan Hill
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Gefühl von Unvermögen, geschweige denn Defätismus aufkommen lassen.
    Ein Kind aus dem Ort Herwick wurde vermisst. Der Junge war achteinhalb. Um fünfzehn Uhr am ersten Tag der Sommerferien war Scott Merriman zum Haus seines Cousins Lewis Tyler aufgebrochen, einen knappen Kilometer entfernt. Er hatte einen Sportbeutel mit Badesachen bei sich gehabt – Lewis’ Vater Ian wollte sie ins neue Schwimmbad bringen, eine Fahrt von einer halben Stunde.
    Scott war bei den Tylers nie angekommen. Nachdem Ian zwanzig Minuten gewartet hatte, rief er bei den Merrimans und auf Scotts Handy an. Scotts elfjährige Schwester Lauren berichtete Ian, das Scott »vor Ewigkeiten« losgegangen sei. Sein Handy war abgeschaltet.
    An der Straße, die Scott entlanggegangen war, standen hauptsächlich Wohnhäuser, es war eine stark befahrene Ausfallstraße.
    Keiner meldete sich, der den Jungen gesehen hatte. Weder eine Leiche noch ein Sportbeutel wurden gefunden.
    Ein Schulporträt von Scott Merriman hing an einer der Tafeln im Konferenzraum, ein Stück neben dem von David Angus. Sie glichen sich nicht, hatten aber etwas ähnlich Frisches an sich, einen eifrigen Ausdruck, der Simon Serrailler zu Herzen ging. Scott lächelte auf dem Foto, zeigte eine Lücke zwischen den Zähnen.
    Ein Detective Constable kam mit einem Teetablett in den Raum. Serrailler begann auszurechnen, wie viele Plastikbecher Tee er wohl schon seit seinem Eintritt in die Polizei getrunken hatte. Dann stand Chapman auf. Da war etwas in seinem Ausdruck, etwas Neues. Er war ein maßvoller, ausgeglichener Mann, doch jetzt wirkte er wie angespornt, von frischer Energie erfüllt. In Reaktion darauf richtete Simon sich auf und merkte, dass die anderen dasselbe taten, den Rücken durchdrückten, sich aus ihrer zusammengesackten Haltung aufrafften.
    »Eines habe ich in dieser Ermittlung noch nicht getan. Und ich glaube, jetzt wäre es an der Zeit. Simon, hat Lafferton beim David-Angus-Fall Kriminalpsychologen eingesetzt?«
    »Als Profiler? Nein. Es wurde darüber diskutiert, aber ich habe es abgelehnt, weil ich der Meinung war, sie hätten einfach nicht genug, wovon sie ausgehen könnten. Sie hätten uns nur ein allgemeines Bild über Kinderentführer geben können – und das kennen wir bereits.«
    »Stimmt. Trotzdem glaube ich, dass wir die Sache auch mal von dieser Perspektive aus betrachten sollten. Spielen wir Profiler. Überlegen wir, wer eines oder beide dieser Kinder entführt haben könnte – und womöglich auch noch andere. Glauben Sie, das könnte eine nützliche Übung sein?«
    Sally Nelmes klopfte mit einem Stift an ihre Schneidezähne.
    »Ja?« Chapman entging nichts.
    »Wir haben als Ausgangsmaterial nicht mehr, als es ein Profiler hätte, ist meine Ansicht.«
    »Nein, haben wir nicht.«
    »Ich finde, wir sollten da draußen sein, nicht hier sitzen und uns Geschichten ausdenken.«
    »Uniformierte und Kriminalbeamte sind immer noch da draußen. Wir waren alle schon draußen und werden es auch wieder sein. Diese Sitzung, zusammen mit dem Beitrag von DCI Serrailler, dient dazu, dass sich das Kernteam Zeit nimmt, nachzudenken … im Kreis zu denken, durchzudenken, zu denken.« Er hielt inne. »Zu DENKEN«, wiederholte er, diesmal lauter. »Zu bedenken, was passiert ist. Zwei kleine Jungen wurden ihrem Zuhause, ihrer Familie, ihrer vertrauten Umgebung entrissen und sind in furchtbare Angst versetzt, vermutlich missbraucht und fast sicher ermordet worden. Zwei Familien sind zerbrochen, haben gelitten, leiden nach wie vor, sind voller Qual und Schmerz, sie sind verstört, ihre Phantasie läuft Amok, sie schlafen nicht, essen nicht, können nicht normal funktionieren, sich auf nichts und niemanden konzentrieren, und es gibt kein Zurück für sie, nichts wird für sie jemals wieder normal sein. Das alles wissen Sie genauso gut wie ich, aber ich muss Sie daran erinnern. Wenn wir zu keinem Ergebnis kommen und all unser Nachdenken und Reden für unsere Ermittlungen nichts Neues ergeben, bleibt mir nichts anderes übrig, als einen Experten von außen hinzuzuziehen.«
    Er setzte sich wieder und drehte seinen Stuhl herum. Sie bildeten eine Art Halbkreis.
    »Denkt darüber nach«, sagte er, »welche Art von Mensch diese Dinge getan hat.«
    Einen Moment lang herrschte aufgeladenes Schweigen. Serrailler betrachtete Chapman mit großem Respekt. Dann kamen die Worte, die Vorschläge, die Beschreibungen, eins nach dem anderen, klatsch, klatsch, klatsch, aus dem Halbkreis wie Karten,
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