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Der Schwur des Maori-Mädchens

Der Schwur des Maori-Mädchens

Titel: Der Schwur des Maori-Mädchens
Autoren: Laura Walden
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»Meine Mutter ist noch hellhäutiger als Sie, Misses Newman. Aber falls Sie auf meinen dunklen Teint anspielen, einer meiner Vorfahren war wohl ein Italiener.«
      Vivian stutzte. So plausibel ihr diese Erklärung ihrer Mutter sonst auch immer erschienen war, in diesem Augenblick machten sich leise Zweifel bemerkbar.
      Rosalind aber reichte ihr versöhnlich die Hand und erklärte seufzend: »Dann bin ich ja beruhigt. Aber es ist nicht fair, uns ungefragt ihr Kind ins Haus zu schicken. Nun müssen wir eben das Beste daraus machen.«
      »Keine Sorge, ich bleibe keinen Tag länger, als ich unbedingt muss. An meinem einundzwanzigsten Geburtstag bin ich fort«, erwiderte Vivian hastig. Dass man sie so unverhohlen ablehnen würde, das hatte sie nicht in Betracht gezogen. Eigentlich hatte sie erwartet, dass ihr Vater sie reumütig empfangen und ihr mit fadenscheinigen Ausreden kommen würde, warum er ihre Mutter einst in einer so schwierigen Lage allein in London zurückgelassen hatte.
      »Darf ich Sie zu einem kleinen Ausflug durch unser schönes Parnell entführen?«, unterbrach Freds wohlklingende Stimme Vivians Gedanken.
      Erfreut wandte sie sich zu ihm um. Er kam ihr wie gerufen. Sie verspürte keine Lust, sich weiter mit der Ehefrau ihres Vaters zu unterhalten.
      »Na, du hast deine Meinung aber schnell geändert, was die Ankunft dieses Mädchens betrifft. Und schon spielst du den fürsorglichen Bruder«, bemerkte Rosalind an Fred gewandt in spitzem Ton.
      »Bruder?« Das traf Vivian so unvorbereitet, dass sie ins Wanken geriet und sich auf einen Stuhl fallen ließ. »Bruder?«, wiederholte sie fassungslos.
      »Mutter«, schimpfte Fred, »hör auf damit! Wir haben beschlossen, sie freundlich aufzunehmen. Sie kann schließlich nichts dafür und hat gerade erst ihre Mutter verloren. Sie nimmt dir doch nichts weg!«
      Vivian atmete tief durch.
      »Ich möchte gern allein sein«, murmelte sie.
      »Aber Vivian, ich glaube, Sie brauchen dringend frische Luft«, widersprach Fred besorgt, doch da hatte seine Mutter ihn bereits am Ärmel durch das halbe Zimmer gezogen.
      »Du hast doch gehört, was sie gesagt hat. Komm!«
      Unter der Tür wandte sich Rosalind noch einmal um.
      »Dein Vater erwartet dich um acht Uhr in seinem Arbeitszimmer. Und sei bitte pünktlich. Er kann Unpünktlichkeit nicht ausstehen. Bitte zieh das verschwitzte Reisekostüm aus und kämm dir die Haare. Er hasst Unordnung.«
      Nachdem die Tür endlich zugeklappt war, schlug Vivian die Hände vor das Gesicht und weinte bittere Tränen. Die Gedanken in ihrem Kopf überschlugen sich. Ihr Vater war also verheiratet gewesen, als er ihre Mutter geschwängert hatte. Deshalb hatte er sie sitzen gelassen. Warum hat sie mich bloß nicht darauf vorbereitet, dass er eine Familie hat?, fragte sich Vivian verzweifelt. Dann hätte ich doch wenigstens gewusst, was mich hier erwartet. Ja, sie konnte Rosalind sogar ein wenig verstehen, denn welche Frau nahm schon gern das Ergebnis eines Seitensprunges bei sich auf?
      Der Vorsatz, ihr Schicksal tapfer zu ertragen, geriet gefährlich ins Wanken.
     
     

Parnell/Auckland, Februar 1920
     
    Bischof Peter Newman saß stocksteif in einem schweren Ledersessel hinter seinem Schreibtisch. Er trug immer noch seinen feierlichen Chormantel. Eine Zornesfalte hatte sich tief in die Stirn eingegraben, während er versuchte, Frederiks Worte ungerührt zur Kenntnis zu nehmen. Der junge Mann war vor ein paar Minuten einfach in sein Arbeitszimmer gestürmt und hatte ihn sogleich auf das Mädchen angesprochen. Immer wieder verlangte er, die ganze Wahrheit zu erfahren. Wenn er nur ahnen würde, wie unchristlich meine Gedanken sind, ging es dem Bischof durch den Kopf. Warum musste sie mir das an tun? Warum nur? Sie hätte doch wissen müssen, dass das jede Menge unangenehmer Fragen mit sich bringen würde. Kein Mensch in seiner Umgebung hatte von seinem Kind in London gewusst, und keiner hätte es je erfahren, wenn Mary nicht jenen Brief geschrieben hätte, der dummerweise Rosalind in die Hände gefallen war. Ein kurzer Brief. Darüber konnte er zwar froh sein, nachdem seine Frau ihn zufällig gefunden hatte, aber wenn er ehrlich war, hatten ihn ihre mageren Worte auch ein bisschen gekränkt. Bin krank, werde sterben, schicke Dir unsere Tochter... Und dann die Daten von Vivians Ankunft in Auckland. Aber was hatte er erwartet? Eine Liebeserklärung auf dem Totenbett, nach allem, was er ihr angetan hatte? Nachdem
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