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Der Schwur der Venezianerin

Der Schwur der Venezianerin

Titel: Der Schwur der Venezianerin
Autoren: Gunter Tschauder
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oder andere Beherrscher des Pinsels, des Gänsekiels oder des Marmormeißels fühlte sich durch die Reichen versklavt. Hatte sich der Künstler einen Namen gemacht, war er gefragt von vielen, so drehte er den Stab um und konnte seinem Bild den Preis abverlangen, den er wollte. Meist allerdings gelang es nicht. Doch immer ging es dem Künstler auch darum, seinen Ruhm zu erhöhen, Bilder für Bilder, Skulptur um Skulptur, Altar um Altar und Gedicht um Gedicht zu produzieren, die ihn in der Nachwelt verewigen sollten.
    Die Cappello und Barbango, die Querini und Pesaro, die Sagredo und die Giusti und die vielen anderen schmückten sich mit den künstlerischen Werken von Giotto, von Boccaccio, Lorenzo Maitani, Petrarca, Brunelleschi, Donatello und Botticelli. Zu jener Zeit wimmelte es auf der italienischen Halbinsel von Künstlern und Schulen, die die Kunst lehrten. Um einen großen Künstler rankte sich oft ein ganzes Astwerk verzweigter Einkommensquellen zum Wohle der gesamten Gesellschaft. Die einen verdienten, die anderen spendeten, so hatte jeder, fast jeder seinen Ruhm, an dem großen Ereignis der Renaissance, teilzunehmen.
    Die Familie Cappello pflegte im Stile der Zeit die „Wiedergeburt“, die sich Renaissance nennt, präsentierte sich großzügig als Mäzen, brachte Kunst und Kunstbesessene zusammen.
    So erwartete auch Bianca sehnsüchtig das große Fest, das ein Aufeinandertreffen der Großen des Geistes und der Großen des Geldes ermöglichte. Dieses Fest gehörte jedes Jahr am Ende des Sommers zu den Ereignissen in Venedig, wenn die Temperaturen wieder erträglicher waren. Aus den umliegenden Höhenzügen, dem Apennin und den Tälern des Nordens, zog es die vornehme Welt zurück in die Paläste der Lagunenstadt. Nichts wäre eher imstande gewesen als dieses illuminierte Fest, die Gleichgesinnten und Gleichmächtigen zu vereinen. In pelzbesetzten, geschlossenen Gondeln, blumengeschmückten Sänften, begleitet von bewaffneten Bediensteten, untermalt von den Liebesgesängen der Gondoliere, rauschten die schönsten Frauen an den Armen der reichsten Männer heran. „All dies müsste aus sich heraus ein mächtiger Dorn im Auge von Lucrezia sein“, drängten sich die Gedanken bei Bianca auf. „Heute sollte die zickende Ersatzmutter, die sich ausschließlich für Verbote und Strafen zuständig sah, sich an ein wirbelndes Leben gewöhnen.“
    Nur die „attenzione!“ Rufe über den Canal Grande und die kleineren Seitenkanäle, unterbrachen die inbrünstigen Gesänge der Gondoliere. Gondel um Gondel legte an der Haupttreppe des Palazzo Cappello an. Von dem Bogen der offenen Pforte führten drei rund geschwungene Stufen direkt zum Wasser. Über diesem Eingangstor ruhte im ersten Stock ein wuchtiger Balkon, über dessen Marmorgeländer sich allerlei buntes Volk beugte, um sich mit den Ankommenden wenigstens heute in die Reihe der Bedeutenden einzufühlen. Die Simse über dem ersten Stock und unter dem Dach stützten jeweils acht mit Marmor eingerahmte Säulen im jonischen Stil. Dazu bildeten die gleichen Träger im Untergeschoss einen Arkadengang, von dem aus man über weitere Stufen direkt zum Kanal gelangen konnte.
    Bianca zeigte sich erstaunt über die Wucht des Reichtums der Familie. Es war ihr nicht genug. Wo blieb die Bildung, die sie bei Gritti erfahren hatte, kannten die Gäste die Überzeugungskünste? Mit wem hier konnte sie sich über die Dichter, Maler und Bildhauer unterhalten? Sie müsste es später testen.
    An einem solchen Tag, wie dem heutigen, begrüßte sie die Gold leuchtenden Fackelhalter, die mit ihren Flammen den Ankömmlingen am späten Abend den Weg wiesen und viereckige Fensteröffnungen und die Säulen verzierten. Auf den unteren Stufen unterhalb des Säulenganges nahmen wie Ebenholz glänzende Sklaven die anlegenden Gondeln an, gaben ihnen Halt und halfen den Gästen, festen Boden unter den Füßen zu bekommen. Den schwankenden Booten entstiegen in langen Brokatkleidern die „Schönen“ und die „Schöngemachten“ der höheren Gesellschaft Venedigs. Das lange zuvor angekündigte Spektakel wollte sich niemand entgehen lassen, und schon vor der Sommerzeit hatten sich die Noblen um eine Einladung bemüht. Cappello begrüßte seine Gäste, die er meist mit ihrem Namen benannte. Über die nackten Schultern und über weithin leuchtende Busen der Damen schmiegten sich die weichen Pelze asiatischer Kleintiere. Mit Edelsteinen besetzte Armreifen und Ringe von kostbarer Erlesenheit schmückten
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