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Der Schwur der Königin

Der Schwur der Königin

Titel: Der Schwur der Königin
Autoren: Christopher W. Gortner
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schön geformten Kopf verdreht und mich ins Bein gezwickt. Als gutes Vorzeichen für den Nachmittag wertete ich das nicht.
    »Beatriz«, zischte ich jetzt meiner neben mir zur Ebene hinausreitenden Zofe zu. »Warum hast du mir nichts gesagt? Du weißt doch, dass ich keine Überraschungen mag.«
    »Eben deshalb«, zischte sie zurück. »Hätte ich Euch eingeweiht, wärt Ihr gar nicht mitgekommen. Ihr hättet gesagt, wir sollen lesen oder irgendwelche Novenen herunterleiern. Aber irgendwann müssen wir doch auch ein wenig Spaß haben.«
    »Mir leuchtet nicht ein, was daran spaßig sein soll, von einem Pferd abgeworfen zu werden.«
    »Ach was! Betrachtet ihn einfach als einen groß geratenen Hund. Na gut, er ist recht stattlich, aber doch eigentlich harmlos.«
    »Verrate mir doch bitte, woher du das weißt.«
    »Weil Alfonso Euch ihn sonst nie reiten lassen würde«, erwiderte Beatriz und warf trotzig den Kopf zurück, womit sie wieder einmal ihr unerschütterliches Selbstbewusstsein zeigte, das sie zu meiner engsten Gefährtin und Vertrauten hatte werden lassen, obwohl ich – wie bei jeder Konfrontation mit ihrer respektlosen Art – zwischen Belustigung und Unbehagen schwankte.
    Zwischen uns lagen drei Jahre und dazu Unterschiede im Temperament, wie sie größer nicht sein konnten. Beatriz verhielt sich stets so, als wäre das Land außerhalb unserer Tore eine unerforschte Welt voller möglicher Abenteuer. Doña Clara führte ihre Unbekümmertheit darauf zurück, dass Beatriz’ Mutter kurz nach ihrer Geburt gestorben war und ihr Vater sie allein und ohne jede weibliche Aufsicht in Arévalo aufgezogen hatte. So dunkel wie ich blond war, so üppig wie ich hager, zeigte sich Beatriz rebellisch, unberechenbar und unverblümter, als es ihr guttat. Sie legte sich sogar mit den Nonnen im Convento de las Angustinas an, wo wir unseren Unterricht erhielten, und trieb die arme Sor María mit ihren endlosen Fragen zur Raserei. Sie war aber auch eine treue und lustige Freundin mit einem sicheren Gespür für das Erheiternde am Treiben anderer. Den Respektspersonen war sie ein permanenter Dorn im Auge, insbesondere Doña Clara, die sich vergeblich damit abmühte, Beatriz beizubringen, dass wohlerzogene Damen nicht einfach ihren Launen nachgaben.
    »Wir hätten Doña Clara die Wahrheit sagen sollen.« Ich seufzte, die Augen auf meine Hände gerichtet. Schon wieder hielt ich die Zügel zu fest und zwang mich, den Griff zu lockern. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie unser Umherziehen auf Pferden angemessen finden wird.«
    Beatriz deutete auf die Landschaft vor uns. »Angemessen! Wer schert sich denn um so was? Seht Euch doch nur um!«
    Ich gehorchte, wenn auch widerstrebend.
    Die Sonne senkte sich zum Horizont und verströmte ein safrangelbes Glühen über den ausgebleichten Himmel. Zu unserer Linken thronte die Burg Arévalo über einem felsigen Abhang, eine graubraune Zitadelle mit ihren vier von Zinnen gekrönten Türmen, die über dem Marktflecken gleichen Namens emporragten. Rechts wand sich die Hauptstraße durch das Land, die letztlich nach Madrid führte, während sich rings um uns die offene Ebene Kastiliens erstreckte, so weit das Auge reichte – ein endloses Land, gesprenkelt mit Gersten- und Weizenfeldern, Gemüsegärten und vom Wind verkrümmten Pinien. In der reglosen Luft hingen der schwere Duft von Harz und eine Ahnung der Schneeschmelze in den Bergen, die ich seit jeher mit der Ankunft des Frühlings verband.
    »Ist das nicht atemberaubend?«, hauchte Beatriz mit glänzenden Augen. Ich nickte, den Blick auf das Land gerichtet, das meine Heimat gewesen war. Ich hatte es natürlich schon oft gesehen, vom höchsten Turm der Festung Arévalo und bei unseren jährlichen Reisen mit Doña Clara zu der in unserer Nachbarschaft gelegenen Stadt Medina del Campo, wo der größte Viehmarkt von Kastilien abgehalten wurde. Doch aus einem unerklärlichen Grund wirkte es heute anders. Es war, als bemerkte man plötzlich bei einem oft betrachteten Gemälde, dass die Zeit es verändert, den Farben einen neuen Glanz verliehen und den Kontrast zwischen Licht und Schatten vertieft hatte.
    In meiner praktischen Art redete ich mir zu, das liege daran, dass ich das Land heute von einer höheren Warte aus sah, da ich nun mal auf Canela saß und nicht auf meinem gewohnten Maultier. Gleichwohl brannten mir Tränen in den Augen, und unvermittelt überfiel mich die Erinnerung an einen prunkvollen sala , gefüllt mit Menschen in Samt
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