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Der Schwur der Königin

Der Schwur der Königin

Titel: Der Schwur der Königin
Autoren: Christopher W. Gortner
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Grund müsst Ihr noch heute Nacht aufbrechen. Nehmt nur die Infanten mit Euch und Eure wichtigste persönliche Habe, die Ihr tragen könnt. Den Rest Eures Eigentums werde ich Euch nachsenden, sobald mir das möglich ist. Wenn Ihr in Arévalo eingetroffen seid und der Letzte Wille des Königs verkündet ist, wird niemand es wagen, Euch anzurühren, nicht einmal Enrique.«
    »Das verstehe ich. Aber wir zwei waren nie Freunde, Carrillo. Warum bringt Ihr Euch meinetwegen in Gefahr?«
    »Drücken wir es so aus: Ich biete Euch einen Tausch an – Gefallen gegen Gefallen.«
    Jetzt konnte meine Mutter ihr bitteres Auflachen nicht länger unterdrücken. »Welchen Gefallen kann ich Euch, dem reichsten Geistlichen von Kastilien, schon erweisen? Ich, eine Witwe ohne eigene Einkünfte, die zwei kleine Kinder und einen Hofstaat versorgen muss.«
    »Ihr werdet es beizeiten erfahren. Seid versichert, dass es Euch nicht zum Nachteil gereichen wird.« Damit wandte sich Carrillo ab und erteilte den Bediensteten meiner Mutter Anweisungen. Diese starrten uns mit vor Angst großen Augen an.
    Langsam griff ich nach der Hand meiner Mutter. Nie zuvor hatte ich es gewagt, sie ohne vorherige Erlaubnis zu berühren. Für mich war sie eine wunderschöne, doch unnahbare Erscheinung in glitzernden Gewändern und mit perlendem Lachen gewesen, stets umringt von unterwürfigen Bewunderern – eine Mutter, die man aus der Ferne zu lieben hatte. Jetzt hingegen wirkte sie, als wäre sie meilenweit durch eine Steinwüste gestolpert, und ihre Miene verriet solche Qual, dass ich mir wünschte, ich wäre älter, größer und stark genug, um sie vor dem grausamen Schicksal zu schützen, das ihr meinen Vater entrissen hatte.
    »Das ist nicht Eure Schuld, Mama«, sagte ich. »Papa ist in den Himmel gegangen. Darum müssen wir jetzt fort von hier.«
    Sie nickte. Tränen traten ihr in die Augen, sie starrte in eine unsichtbare Ferne.
    »Und wir gehen nach Ávila«, fügte ich hinzu. »Das ist nicht weit, Mama, oder?«
    »Nein«, sagte sie sanft, »nicht weit, hija mia , überhaupt nicht weit.«
    Doch ich spürte, dass es für sie ein ganzes Leben weit entfernt war.

E rster T eil
    Die Infantin von Arévalo
    1464–1468

1
    »Halte die Zügel fest in der Hand, Isabella. Lass ihn deine Angst nicht spüren. Sonst meint er, er hätte Macht über dich, und versucht, dich abzuwerfen.«
    Hoch auf dem Rücken des eleganten schwarzen Hengstes, nickte ich eifrig und ergriff die Zügel. Durch die wettergegerbten Spitzen meiner Handschuhe konnte ich das straffe Leder fühlen. Zu spät fiel mir ein, dass ich Beatriz’ Vater, Don Pedro de Bobadilla, die neuen Handschuhe hätte kaufen lassen sollen, die er mir kürzlich zum dreizehnten Geburtstag schenken wollte. Doch mein Stolz – eine Sünde, die zu überwinden ich mir alle Mühe gab, wenn auch meistens vergeblich – hatte es mir verboten, mit der Annahme seiner Gabe unsere Not zuzugeben. Dabei lebte er mit uns unter einem Dach und hatte sicher mit eigenen Augen gesehen, wie verarmt wir waren. Derselbe Stolz war auch schuld daran, dass ich die Herausforderung meines Bruders wider besseres Wissen annahm. Er hatte gefragt, ob ich nicht endlich auf einem richtigen Pferd reiten wollte.
    So saß ich nun, die Hände mit alten Lederhandschuhen geschützt, die sich anfühlten wie dünne Seide, auf diesem prächtigen Hengst. Obwohl er nicht übermäßig groß war, machte er mir dennoch Angst. Das Tier tänzelte und scharrte mit den Hufen, als würde es jeden Moment durchgehen, ohne Rücksicht darauf, ob ich mich abwerfen ließe oder nicht.
    Kopfschüttelnd beugte sich Alfonso von seinem Rotschimmel zu mir herüber, um meine Finger aufzubiegen, damit die Zügel locker darum gelegt werden konnten.
    »So«, sagte er, »fest, aber nicht so fest, dass du ihm das Maul verletzt. Und denk daran, dass du beim Traben aufrecht sitzt und dich beim Galoppieren vorbeugst. Canela ist keines von den dummen Maultieren, auf denen du und Beatriz sonst immer reitet. Er ist ein reinrassiger Araber und eines Kalifen wert. Er muss wissen, dass sein Reiter das Sagen hat, und zwar immer.«
    Ich streckte den Rücken durch und presste mich in den erhaben gearbeiteten Sattel. Ich fühlte mich leicht wie eine Distel. Obwohl ich in einem Alter war, in dem die meisten Mädchen begannen, sich zu entwickeln, war ich immer noch am ganzen Körper flach und mager, sodass mich meine Freundin und Zofe Beatriz, Don Bobadillas Tochter, ständig bedrängte, mehr zu
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