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Der Schwur der Königin

Der Schwur der Königin

Titel: Der Schwur der Königin
Autoren: Christopher W. Gortner
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der einzige Mensch zu sein, den er wirklich sehen wollte.
    Er streckte mir eine für einen Mann von seiner Größe verblüffend zierliche Hand entgegen. »Ich bin Erzbischof Carrillo von Toledo«, sagte er. »Kommt mit mir, Hoheit. Es gibt nichts zu fürchten.«
    Zögernd ergriff ich seine Hand. Seine Finger waren kräftig und warm. Und als sich seine Hand um meine schloss, fühlte ich mich tatsächlich sicher. Er führte mich vorbei an den Mönchen und dunkel gekleideten Höflingen, in deren unpersönlichen Augen wie bei dem Falken im Alkoven leidenschaftsloses Interesse zu glimmen schien.
    Damit ich näher bei meinem Vater stehen konnte, hob der Erzbischof mich auf einen Schemel vor dem Bett. Bei jedem Atemzug des Königs hörte ich ein lautes Rasseln in seiner Brust. Die Haut, die bereits merkwürdig wächsern wirkte, schien ihm förmlich auf den Knochen zu kleben. Seine Augen waren geschlossen, die feingliedrigen Hände über der Brust gefaltet, als wäre er eine Steinplastik auf einem jener aufwendigen Grabmäler, von denen es in unseren Kathedralen nur so wimmelte.
    Ich musste wohl einen Laut des Entsetzens von mir gegeban haben, denn Carrillo raunte mir ins Ohr: »Du musst ihn küssen, Isabella. Gib deinem Vater deinen Segen, damit er dieses Tränental in Frieden verlassen kann.«
    Obwohl dies das Letzte war, was ich tun wollte, hielt ich die Luft an, beugte mich über meinen Vater und drückte ihm flüchtig die Lippen auf die Wange. Als ich die vom Schüttelfrost eisige Haut berührte, prallte ich erschrocken zurück und hob unwillkürlich die Augen zur anderen Seite des Betts.
    Dort bemerkte ich eine Silhouette. Einen schrecklichen Moment lang hielt ich sie für den Geist des toten Konnetabels, der laut meinen Hofdamen rastlos auf Rache sinnend im Palast herumspukte. Doch da flackerte eine Kerze auf, und ihr Schein fiel lange genug auf sein Gesicht, sodass ich meinen älteren Halbbruder, Prinz Enrique, erkennen konnte. Sein Anblick verwirrte mich. Normalerweise hielt er sich doch vom Hof fern, dem er seine geliebte casa real in Segovia bei Weitem vorzog. Wie es hieß, leistete er sich dort eine aus Ungläubigen bestehende Wache und eine Menagerie aus exotischen Raubtieren, die er eigenhändig fütterte. Jetzt war er also im Sterbezimmer unseres Vaters anwesend, gehüllt in einen schwarzen Umhang, das lange, zottelige Haar unter einem scharlachroten Turban verborgen, sodass seine sonderbar flache Nase und die eng beieinanderliegenden Augen hervorstachen und er an einen ungepflegten Löwen erinnerte.
    Das wissende Lächeln, mit dem er mich bedachte, jagte mir jäh einen kalten Schauer den Rücken hinunter.
    Der Erzbischof nahm mich auf die Arme und trug mich hinaus, als gäbe es in dem Gemach nichts mehr, was für uns noch von Belang wäre. Über seine Schulter hinweg sah ich die Höflinge und Granden sich um das Bett scharen. Der Gesang der Mönche wurde lauter, und Enrique beugte sich beflissen, ja, fast eifrig über den sterbenden König.
    In diesem Moment hauchte unser Vater, Juan II., sein Leben aus.
    Wir kehrten nicht in meine Gemächer zurück. Fest an die mächtige Brust des Erzbischofs gedrückt, verfolgte ich benommen, wie er meine im Korridor wartende aya gebieterisch zu sich winkte und uns die Wendeltreppe hinunter zum Burghof führte. Der fahle Mond am Nachthimmel vermochte kaum die Wolken- und Nebelschleier zu durchdringen.
    Als wir den schützenden Schatten der Festung verließen, spähte der Erzbischof zum hinteren Ausfalltor, ein dunkles viereckiges Portal, das man in die Ringmauer eingelassen hatte.
    »Wo sind sie?«, drängte er mit gepresster Stimme.
    »Ich … ich weiß es nicht«, stammelte Doña Clara. »Ich habe die Nachricht gesandt, wie Ihr es mich geheißen hattet, und Ihre Hoheit gebeten, hier auf uns zu warten. Hoffentlich ist ihr nichts …«
    Er unterbrach sie mit erhobener Hand. »Ich glaube, sie kommen.« Er trat vor. Das flüchtige Klappern leichter Schuhe auf dem Kopfsteinpflaster näherte sich, und ich spürte, wie er sich anspannte. Mit einem scharfen Geräusch stieß er die Luft aus, als plötzlich mehrere Gestalten, angeführt von meiner Mutter, auf uns zutraten. Sie war blass. Die Kapuze ihres Umhang hatte sich um ihre schmalen Schultern gelegt, doch ein paar schweißnasse kastanienbraune Strähnen waren ihrer Haube entkommen. Ihr folgten ihre portugiesischen Hofdamen sowie Don Gonzalo Chacón, der Erzieher meines einjährigen Bruders, den er in seinen kräftigen Armen
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