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Der Schwur der Königin

Der Schwur der Königin

Titel: Der Schwur der Königin
Autoren: Christopher W. Gortner
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wiegte. Ich fragte mich, warum wir uns gerade jetzt, mitten in der Nacht, hier draußen versammelt hatten. Mein Bruder war doch so klein, und es war schrecklich kalt.
    »Ist er …?«, keuchte meine Mutter.
    Carrillo nickte. Ein Schluchzen entrang sich ihrer Kehle, während ihre einschüchternden blaugrünen Augen mich fixierten, die ich immer noch in den Armen des Erzbischofs lag. Sie streckte die Hände nach mir aus. »Isabella, hija mia .«
    Carrillo setzte mich ab. Zu meiner eigenen Überraschung wollte ich nicht fort von ihm. Doch dann lief ich los, von meinem übergroßen Umhang wie von einem formlosen Kokon umhüllt. Vor ihr knickste ich, wie man es mich gelehrt und wie ich es stets bei den seltenen Anlässen getan hatte, zu denen man mich vor versammeltem Hof zu meiner schönen Mutter geführt hatte. Sie schlug meine Kapuze zurück, und ihr Blick begegnete dem meinen. Alle sagten, ich hätte die Augen meiner Mutter, nur seien meine von einer dunkleren Tönung.
    »Mein Kind«, flüsterte sie, und ich nahm ein verzweifeltes Beben in ihrer Stimme wahr, »meine liebste Tochter, jetzt haben wir nur noch einander.«
    »Eure Hoheit müssen sich auf das konzentrieren, was jetzt wichtig ist«, hörte ich Carrillo sagen. »Eure Kinder müssen geschützt werden. Mit dem Ableben Eures Gemahls, des Königs, sind sie …«
    »Ich weiß, was meine Kinder sind«, fiel ihm meine Mutter ins Wort. »Was ich wissen will, ist: Wie lange, Carrillo? Wie viel Zeit bleibt uns noch, bis wir all das, was wir kennen und lieben, verlassen und gegen ein vergessenes Asyl am Ende der Welt tauschen müssen?«
    »Bestenfalls ein paar Stunden«, antwortete der Erzbischof tonlos. »Noch haben die Glocken nicht geläutet, denn die Vorbereitung einer solchen Verlautbarung erfordert eine gewisse Zeit.« Er zögerte. »Aber sie wird früh genug erfolgen – spätestens am Morgen. Ihr müsst mir vertrauen. Ich verspreche Euch: Ich werde dafür sorgen, dass Euch und den Infanten kein Leid geschieht.«
    Meine Mutter blickte ihm in die Augen. Wie um ein Lachen zu ersticken, presste sie eine Hand auf den Mund. »Wie wollt Ihr das bewerkstelligen? Enrique von Trastámara, der Sohn meines Gemahls aus erster Ehe, wird bald König sein. Wenn meine Augen mich in all den Jahren nicht getäuscht haben, wird er für seine Günstlinge nicht minder empfänglich sein, als es Juan stets war. Welche Sicherheit könnt Ihr mir denn schon bieten außer der Gesellschaft eines Teils Eurer Wache und der Zuflucht in einem Kloster? Und warum eigentlich nicht? Zweifellos ist ein Nonnenkonvent die beste Lösung für eine verhasste Königin aus der Fremde mitsamt ihrer Brut.«
    »In einem Kloster können Kinder nicht verweilen«, entgegnete Carrillo. »Außerdem sollten sie in einem so zarten Alter nicht von ihrer Mutter getrennt werden. Euer Sohn ist jetzt Enriques gesetzlicher Erbe, bis dessen Frau ihm ein Kind gebiert. Ich versichere Euch: Der Kronrat wird gewährleisten, dass die Rechte der Infanten nicht angefochten werden. Mehr noch, er hat eingewilligt, Euch den Prinzen und seine Schwester auf der Burg Arévalo in Ávila aufziehen zu lassen, die Euch als Teil Eures Witwengedinges übergeben werden wird.«
    Schweigen breitete sich aus. Stumm stand ich da und beobachtete meine Mutter, wie sie mit versteinerter Miene »Arévalo« wiederholte, als hätte sie sich verhört.
    Unbeirrt fuhr Carrillo fort: »Das Testament Seiner Majestät sieht reichliche Vorsorge für die Infanten vor, wobei jedem bei Vollendung des dreizehnten Lebensjahres eine eigene Stadt als persönliches Eigentum übertragen werden soll. Ich verspreche Euch: Euch wird es an nichts fehlen.«
    Die Augen meiner Mutter verengten sich. »Juan hat seine Kinder kaum je gesehen. Er hat sich überhaupt nicht um sie gekümmert. Er hat sich um niemanden gekümmert außer um diesen grässlichen Mann, diesen Konnetabel Luna. Und doch behauptet Ihr, er hätte für sie vorgesorgt. Wie, um alles auf der Welt, könnt Ihr das wissen?«
    »Vergesst nicht, ich war sein Beichtvater. Er hörte auf meinen Rat, weil er die Feuer der ewigen Hölle fürchtete.« Die plötzliche Eindringlichkeit in Carrillos Ton ließ mich zu ihm aufblicken. »Aber wenn Ihr mir nicht vertraut, kann ich Euch nicht schützen. Es ist in Kastilien Brauch, dass eine verwitwete Königin sich vom Hof zurückzieht. Und üblicherweise darf sie ihre Kinder nicht behalten, vor allem dann nicht, wenn der neue König keinen eigenen Erben hat. Aus diesem
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