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Der schwarze Wikinger: Roman (German Edition)

Der schwarze Wikinger: Roman (German Edition)

Titel: Der schwarze Wikinger: Roman (German Edition)
Autoren: Shirley Waters
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deutete mit knorrigem Finger ins Innere. Zwei weitere Schwestern wankten aus ihrem Stallversteck. Sie sahen nicht besser aus.
    »Herr Jesus, schütze uns!«, rief eine andere Nonne mit schreckensbleichem Gesicht. »Eines der Ungeheuer ist noch da!«
    Mutter Laurentia, die hagere, groß gewachsene Äbtissin, stellte sich Caitlín in den Weg. »Ihr wollt doch nicht etwa da hinein? Als unser Gast genießt Ihr unsere besondere Fürsorge, und auch Euer Verlobter, der edle Herr Éamonn von Carndonagh, würde es gewiss gutheißen, wenn Ihr Euch jetzt zurück in Euer Schlafgemach begebt. Ihr tragt ja kaum etwas am Leib!«
    Die Würde der Mutter Oberin hatte durch den übel riechenden Schweinemist, der ihr am Habit und auf den Wangen klebte, in Caitlíns Augen ein wenig gelitten, doch es war die Erwähnung Éamonns, bei der sich ihr Widerstand regte. Wenn sie in ein paar Tagen bei ihrem Verlobten Einzug hielt und mit ihm Hochzeit feierte, ja, dann wollte sie sich ihm fügen. Keinen Tag vorher!
    Ein zweiter Schrei lenkte Mutter Laurentia ab, und Caitlín nutzte die Gelegenheit, um sich an ihr vorbeizuschieben. Noch immer hielt sie das Messer in der erhobenen Hand. Mit vereinten Kräften würden sie gegen einen einzelnen Mann bestehen. »Holt aus dem Stall …«, begann sie und stockte. Heugabeln, irgendeine Waffe , hatte sie sagen wollen, aber es verschlug ihr die Sprache. Es war keiner der blonden Bärtigen, der inmitten der kleinen Kapelle in die Knie ging, da er aus irgendeinem Grund nicht mehr stehen konnte. In der Rechten hielt er den Schwertgriff; die Klingenspitze bohrte sich in den Lehmboden, als müsse er sich auf seine Waffe stützen.
    Das durch das Kirchenfenster einfallende Licht ließ sein Haar wie Rabenfedern glänzen. Ebenso schwarz war das aus dicken Lederstreifen geflochtene Wams, das sich eng an seinen Oberkörper schmiegte. Darunter trug er eine knielange Tunika aus weißem Leinen und mit langen Ärmeln, dazu eine Hose aus dunkelgrauem Leder und ebensolche Stiefel, deren Schnüre sich um seine Waden wanden. Indem er eine Stiefelsohle in den Boden stemmte, versuchte er sich wieder aufzurichten. Seine Haare, die halb aus dem Silberband im Nacken gerutscht waren, schwangen, als er den Kopf in den Nacken warf, die Luft durch die Zähne herauspresste und mit einem heiseren Schrei wieder auf die Füße kam.
    Großer Gott, er war riesig.
    Die Benediktinerinnen flüsterten Gebete, und Caitlín sah sie aus den Augenwinkeln fahrige Kreuzzeichen machen. Der Blick des Schwarzen streifte sie. Erkannte er sie wieder? Er machte einen Schritt auf sie zu, wirkte aber, als würde er nicht mehr wissen, wo genau er sich befand. Er wankte zurück. Das Schwert blitzte auf, als er es über dem Altar schwang. Was die Räuber liegen gelassen hatten – zwei Tonbecher und das Altartuch –, fegte er mit der Klinge herunter.
    »Kommt alle heraus, und schließt die Tür!«, rief die Äbtissin mit zittriger Stimme. »Gott züchtigt ihn für seine Untaten. Wir können nichts anderes tun, als abzuwarten.«
    Untaten, wirklich? , dachte Caitlín. Immerhin hat er uns verschont . Aber sie behielt ihre Gedanken für sich. Keine der Frauen würde ihr jetzt zustimmen. Sie konnte ja selbst kaum glauben, dass dieser wütende Mann derselbe sein sollte, der so nachdenklich über ihrem Versteck gestanden hatte.
    Er funkelte sie an und zischte etwas in seiner Sprache. Dann: »Zieht mir das Ding aus dem Rücken! Zieht es heraus!«
    So überrascht war Caitlín, irische Worte aus seinem Mund zu vernehmen, dass sie erschrocken zurückwich und gegen einen weichen Frauenkörper stieß. Es war die kleine Órla, die sofort die Arme um sie legte.
    »Bitte, Herrin, wahrt Abstand«, wisperte sie. »Er wird uns alle töten.«
    Der Hüne griff über seine Schulter hinter sich. Aber wonach auch immer er suchte, er fand es nicht. Mit den Knien stieß er gegen eine seitlich stehende Sitzbank, sackte erneut nieder und stützte sich mit dem Unterarm auf die Sitzfläche. Nun konnte Caitlín sehen, was ihm solche Schmerzen verursachte: Aus seinem Rücken ragte der Griff eines Dolches.
    Ihre Gedanken waren den Bewegungen ihres Körpers voraus. Sie glaubte, über den Lehmboden zu schweben, während sie sich selbst betrachtete, wie sie es wagte, sich dem Nordmann zu nähern. Sämtliche Furcht war verschwunden, zumindest für diesen Augenblick. Dann stand sie vor ihm. Mit glasigen Augen, aus denen Verwunderung sprach, blickte er zu ihr hoch. Sie beugte sich über ihn und
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