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Der schwarze Wikinger: Roman (German Edition)

Der schwarze Wikinger: Roman (German Edition)

Titel: Der schwarze Wikinger: Roman (German Edition)
Autoren: Shirley Waters
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umschloss den Dolchgriff. Das Heft hatte sich in seinem Wams verhakt, deshalb hatte er ihn nicht selbst ziehen können. Ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals. Den Dolch zu entfernen kostete sie große Überwindung. Es war alles andere als unwahrscheinlich, dass der Schmerz, wenn sie die Waffe entfernte, den Mann veranlassen würde, sie anzuspringen und mit dem Schwert zu erschlagen.
    Gott steh mir bei! Sie kniff die Augen zusammen und riss die Klinge mit einem Ruck heraus.
    Sein Leib krampfte sich zusammen, aber sein Schrei war verhalten. »Thorir, prífísk p ú aldri!«, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, als verfluche er, wer immer ihm das angetan hatte. Schweiß rann in Bächen seine Schläfen hinab, doch seine tiefblauen Augen klärten sich. Plötzlich lag seine Hand heiß auf ihrer Wade.
    »Meyja – Mädchen. Danke.«
    Er sah sie lange an. Dann an ihr vorbei, als überlege er, ob er es wagen konnte, jetzt einzuschlafen. Vielleicht entschied er sich dafür, vielleicht übermannte ihn nur die Ohnmacht. Er bettete den Kopf auf seinen Unterarm und schloss die Augen.
    Die Äbtissin fasste sich als Erste. »Nun gut.« Sie hob ihr Kreuz, küsste es und schlug mehrmals ein Kreuzzeichen. »Der Herr hat in seiner Güte beschlossen, uns zu verschonen. Lasst uns nach den Klosterknechten sehen.«
    »Die sind bestimmt alle tot«, wisperte Órla. Sie war so bleich wie die anderen zwanzig Nonnen und Novizinnen, die sich vor der Kapelle versammelt hatten. Auch Caitlín befürchtete, dass die Klosterknechte im Kampf gefallen waren, denn andernfalls wären sie längst bei ihnen gewesen. Und ihre eigene Leibwache! Vier tapfere Männer! Erst jetzt wurde sie gewahr, in welchem Ausmaß dieser entsetzliche Angriff sie heimgesucht hatte. Wo war der Mut, der sie noch vor Kurzem aus dem Vorratskeller herausgelockt hatte? Der sie den Dolch aus dem Rücken des Barbaren hatte ziehen lassen? Caitlín wankte und suchte an Órlas Schulter Halt. Mit der anderen Hand fuhr sie sich über das tränenfeuchte Gesicht.
    »Wir müssen nach ihnen suchen«, murmelte sie. »Vielleicht hat ja einer überlebt.«
    »Geht in Eure Kammer, Herrin, bitte.« Mutter Laurentia straffte die Schultern und gab ihrer besudelten Gestalt wieder ein wenig Würde zurück. »Wir anderen werden die Verletzten finden und uns um sie kümmern, falls es denn Verletzte gibt. Die Toten werden wir unter die Erde bringen.«
    »Und wenn die … die Mörder wiederkommen?«, rief eine Novizin mit piepsiger Stimme. Sie hatte die Arme um sich geschlungen und zitterte am ganzen Leib – wie fast alle.
    »Das glaube ich nicht. Und wenn doch, liegt alles in Gottes Hand. Dann werden wir uns ihnen als standhafte Christenfrauen gegenüberstellen und mit ausgebreiteten Armen sterben, wenn es denn sein muss! Und nun kommt.«
    Caitlín lag die Frage auf der Zunge, weshalb die Äbtissin zuvor ins Stroh des Schweinestalls geflüchtet war. »Ehrwürdige Mutter Oberin«, sagte sie stattdessen und deutete auf den Wikinger. »Was ist mit ihm?«
    Grimmig verzog Mutter Laurentia das Gesicht, als wolle sie den Mann bespucken. »Auch sein Leben liegt in Gottes Hand – das er allerdings fast schon ausgehaucht hat, wie mir scheint. Trotzdem sollten wir ihn nicht in der Kapelle liegen lassen. Also kommt, fasst mit an.«
    Vier Benediktinerinnen waren nötig, um den riesenhaften Wikinger ins Freie zu zerren. Neben dem Eingang ließen sie ihn bäuchlings liegen. Die Äbtissin wandte sich von ihm ab, kehrte jedoch noch einmal zurück, löste das Seil, das ihr als Gürtel diente, und fesselte seine Hände im Rücken. Als sie sich erhob, wischte sie angewidert die Handflächen an ihrem Habit ab, was sie jedoch kaum sauberer machte.
    Caitlín wusste nicht so recht, was sie davon halten sollte. Ein Christ sollte doch jedem helfen, der Hilfe bedurfte, auch wenn es der Feind war, oder etwa nicht? So hatte es sie der Beichtvater auf der heimischen Burg gelehrt. Andererseits: Wie sollte man diesen Riesen nicht fürchten? Sogar leblos, an der Schwelle des Todes, machte er einen gefährlichen Eindruck, sodass Caitlín insgeheim froh um die Fessel war.
    »Herrin Caitlín, geht jetzt in Eure Gästekammer.« Mutter Laurentia wandte sich ab. Auch einige der Schwestern blickten nachdenklich, doch ihr Gehorsam gegenüber der Äbtissin wog schwerer, daher verwunderte es Caitlín nicht, dass sie ihr folgten wie Entenküken der Mutter.
    Nur Schwester Órla blieb zurück. Ihr Lächeln wirkte hilflos. »Bitte tut,
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