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Der Schwarze Mandarin

Der Schwarze Mandarin

Titel: Der Schwarze Mandarin
Autoren: Heinz G. Konsalik
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wie ein Erwachsener, der von guten Dingen erzählt. Ninglin versuchte, sein Messer aus der Tasche zu holen. Auch im Werfen von Messern war er ein Meister. Der Junge erkannte diese Bewegung und schoß zum drittenmal. Diesmal in Ninglins Arm.
    Der Killer heulte auf. Es klang wie die Schreie seiner Opfer, bevor er ihnen mit seiner kleinen, scharfen Axt den Brustkorb spaltete oder einen Arm abhieb.
    Der Junge kam drei Schritte näher und starrte in Ninglins blutunterlaufene Augen. »Wir lebten so zufrieden in München. Unsere ›Shanghai-Stuben‹ waren bei allen beliebt, aber du hast meinen Vater wegen ein paar Mark umgebracht, die er dir nicht zahlen wollte. Du hast ihn ausgelacht und getötet. Hör mich an – ich lache auch!«
    Der Junge stieß ein paar Laute aus, die eher wie unterdrücktes Schluchzen klangen. Dann ging er um Ninglin herum, hob den Revolver und schoß ihm in das Genick. Ninglin fiel nach vorn. Er lebte noch zwei Sekunden, dann kam das Todesröcheln.
    Zhong Lihong sah seinen Revolver an. Vier Schüsse hatte er abgefeuert, zwei Patronen waren noch in der Trommel. Er blickte auf den zusammengekrümmten toten Körper, hob noch einmal die Waffe und feuerte die beiden Geschosse in Ninglins Rücken. Dann warf er den Revolver neben ihn an den Baumstamm und verließ mit ruhigen Schritten den Vorgarten. Er stieg auf sein Fahrrad, das neben dem Haus an einer Hecke lehnte, und fuhr durch die helle Nacht nach Hause. Seine Mutter Su Kun erwartete ihn und stürzte weinend auf ihn zu.
    »Lihong, Lihong, wo warst du?« rief sie. »Ich habe gedacht, nun haben sie mir auch dich weggenommen! Wo warst du – du kannst doch nicht einfach weglaufen in der Nacht. Lihong, mein Liebstes …«
    Sie drückte ihn an sich und weinte weiter. Lihong ließ das eine Weile über sich ergehen, dann befreite er sich aus den Armen der Mutter, trat zwei Schritte zurück und reckte sich empor.
    »Ich habe meinen Vater gerächt, Mama. Ninglin ist tot. Jetzt können wir nach Amerika zu Tante Hua fahren …«
    *
    An einem Freitag morgen bestiegen ein Herr Dr. Fresius und seine Begleiterin, eine schöne Chinesin, die viele Männerblicke auf sich zog, ein Flugzeug der Iberia nach Madrid.
    In Madrid verließen sie den Flughafen, nahmen sich ein Taxi und fuhren davon.
    Sie ließen damit ihre Vergangenheit hinter sich.
    Es gab keinen Dr. Rathenow mehr und keine Wang Liyun.
    Nur noch ein Telefongespräch mußte Rathenow führen. Es drängte ihn danach. Er rief Dr. Freiburg an.
    »Hans!« hörte er Freiburg aufschreien. »Mein Gott, wo bist du? Sag, wo du jetzt bist!«
    »In einer anderen Welt.«
    »In Amerika?«
    »Nein …«
    »Dein Haus ist abgebrannt!«
    »Ich weiß. Unwichtig.«
    »Ich flehe dich an: Wo bist du?«
    »Alter Junge, du wirst wieder von mir hören – nur wann, das weiß ich noch nicht. Es kann lange dauern. Mach's gut!«
    Er legte auf und sah Liyun an, die neben ihm stand.
    »Das war der letzte Gruß an die Vergangenheit«, sagte er. »Von dieser Minute an gibt es nur noch dich und mich in einer Welt, die nur uns ganz allein gehört und wo uns keiner sucht und findet. Darf man das Glück nennen?«
    »Ja.« Liyun streichelte seine Hand. »Es ist wirkliches Glück, mein Bi Xia.«

Epilog

    Die ›Casa del Vino‹ lag etwas außerhalb des Ortes Agulo an einem flachen Berghang, zu dem eine Schotterstraße hinaufführte.
    Von der überdeckten Veranda hatte man einen herrlichen Blick über den Ort mit seinen verschachtelten Häusern, den Strand und den unter dem blauen Himmel blau und silbrig glänzenden Atlantik. Im Hafen lagen Fischerkähne und ab und zu ein weißer Ausflugsdampfer, der von Teneriffa oder Las Palmas, den Nachbarinseln, herüberkam. Ein Blumen- und Kakteengarten umgab das Haus. Einige hohe Bananenstauden und Orangenbäume wuchsen an den Rändern der Treppe, die von der Straße zur Casa führte. Ein großes, rundes Wasserreservoir war in den Felsen gesprengt und versorgte das Anwesen zu jeder Zeit mit frischem Wasser. Das Haus war ockergelb gestrichen, hatte ein rotes Ziegeldach und grüne Fensterläden – ein lustiger Farbklecks gegen die vulkanischen Felsen.
    Die Bewohner dieses kleinen Schmuckstückes kannte jeder in Agulo. Der Señor mit den silbernen Haaren und dem weißen Bart saß oft mit seiner wunderschönen chinesischen Frau in den Bodegas, aß Maiskuchen und trank mit großem Verstand den besten Wein. Sie besuchten auch die Dorffeste und tanzten sogar mit im Kreise der Gomese, und die Chinesin hatte einmal
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