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Der schwarze Krieger

Der schwarze Krieger

Titel: Der schwarze Krieger
Autoren: William Napier
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Reiter auf einer braunen Stute herangeritten. Er war etwa genauso alt, vielleicht ein, zwei Jahre jünger, und wirkte ebenso abgekämpft und erschöpft. Sein Blick schien wach und flink. Er trug keine Kopfbedeckung, und sein oben bereits kahlwerdendes Haupt gab ihm ein beinahe mönchisches Aussehen. Das helle Haar war an den Seiten kurz geschoren, und die Stoppeln auf Wangen und Kinn wie auch seine Hautfarbe wiesen darauf hin, dass er kein Hunne war. Aber auch er trug quer über dem Rücken einen kurzen Hunnenbogen sowie zwei Köcher.
    Chanat glaubte, ihn nach all den Jahren ebenfalls wiederzuerkennen. Damals war er ein Sklavenjunge gewesen, einer jener hellhäutigen Griechen. Und während all der Jahre desExils der treue Diener seines Herrn, mit dem er gewiss zahlreiche Geheimnisse, Schrecken und leidvolle Erfahrungen teilte.
    Der Diener neigte das Haupt zum Gruß, und Chanat antwortete ebenfalls mit einem Nicken.
    «Chanat», befahl der schwarze Krieger. «Reite ins Lager und bring uns einen Spaten.»
    Chanat runzelte die Stirn. «Einen Spaten, Prinz Attila?»
    «Attila Tanjou», erwiderte der Mann. «König Attila.»
    ***
    Zweimal wurde Chanat mit Fragen überschüttet, als er vom Lager wegritt, den Spaten quer über den Sattel gelegt. Beide Male ignorierte er die Fragenden und ritt hochmütig weiter. Denn in seinem Herzen, in der ganzen Brust, ja überall in seinem steifen, alten Körper spürte er eine stetig wachsende Erregung, wie er sie seit Jahren nicht mehr empfunden hatte. Sein wahrer Herr hatte ihm einen Befehl erteilt. Nichts sonst zählte mehr. Der kleinste Wink seines Meisters musste umgehend befolgt werden. Denn Attila war der Herr und Meister, nach dem Chanat sich ein Leben lang gesehnt hatte. Nicht der alte degenerierte Vielfraß dort im Zelt, in seiner weißen Tunika aus weicher anatolischer Wolle und den geschenkten Gewändern aus byzantinischer Seide! Sein Brustschmuck bildeten kaiserliche Münzen, massive Goldmünzen, in die Symbole fremder Religionen und die Häupter ausländischer Könige eingeprägt waren. Er hatte stets Weinflecken im Bart und schnarchte vermutlich gerade im Schoß eines Sklavenmädchens, während die Schwerter und Speere an den Zeltpfosten ihrer Jurten vor sich hin rosteten.
    Dort am Grab Mundschuks wartete ein echter Befehlshaberauf ihn, stolz und entschlossen, trotz der ärmlichen Kleider, der staubigen, abgetragenen Tierhäute. Dort war sein Tanjou. Sein König.
    Chanat ritt an den gelangweilten Wachen vorbei, bereit, ihnen den Schädel mit der flachen Seite des Spatens einzuschlagen, sollten sie es wagen, ihn aufzuhalten. Doch dazu kam es nicht.
    Der alte Krieger mit seiner hageren, grimmig dreinblickenden Erscheinung war im schläfrigen Lager der Hunnen noch immer ein respektierter Mann.
    Wenig später reichte er seinem Tanjou, für den er alles gegeben hätte, selbst sein dünnes, altes Blut, den Spaten.
    «Gib ihn Orestes», sagte Attila.
    Der hellhäutige Grieche nahm den Spaten aus Chanats Händen entgegen und glitt gewandt aus dem Sattel.
    Attila ritt auf der Ostseite des Grabhügels hinab und blickte mit einer ruckartigen Bewegung seines Kopfes zurück. «Beginnt dort zu graben», befahl er mit wildentschlossenem Blick. «Und öffnet eines der Gräber   …»
    Chanat zögerte. «Eines der Königsgräber?»
    «Das Grab Mundschuks», erklärte Attila. «Das Grab meines Vaters.»
    Ein Schatten huschte über Chanats Gesicht, doch er schwieg und sah zu, wie Orestes mit dem Spaten in den Boden stach und die Steine des Grabes von der Schwarzerde befreite. Attila ritt heran, stieg selbst ab und kniete neben dem länglichen Steinhaufen nieder, von dem er einen Stein nach dem anderen behutsam entfernte. Dann hielt er lange inne, bevor er schließlich einen Arm hineinsteckte. Er wischte kleine Erdbrocken beiseite, legte seine warme Handfläche auf die Stirn des kalten Schädels seines Vaters und betete um Vergebung.
    Eine Weile verharrte er so, dann griff er auch mit der anderen Hand hinein und schien an dem einsamen, mit Erdreich bedeckten Skelett zu zerren. Mit einem Ruck stand er schließlich auf und bestieg hastig sein Pferd.
    Abwechselnd füllten der zähe Grieche und der alte Hunnenkrieger die offene Wunde, die in die heilige Erde gerissen worden war, mit Steinen. Dann häuften sie Erde darüber und setzten die Grasnarbe obenauf. Schließlich klopfte Orestes alles mit dem Spaten fest, bis der ursprüngliche Zustand wiederhergestellt war.
    Die beiden Männer saßen
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