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Der schwarze Dom

Der schwarze Dom

Titel: Der schwarze Dom
Autoren: Christopher Pike
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versammelten sich vor dem Schrein der Jungfrau Maria. Tracie und Cessy standen der Statue am nächsten, Davey und Paula waren hinter ihnen. Carl war Tom zu Hilfe gekommen, der bewegungslos vor dem schimmernden Tabernakel auf dem Boden saß und sich das gebrochene Bein hielt. Cessy hatte die Flasche nun zu ihrer Rechten auf der Abtrennung, die den Altar umsäumte, abgestellt. Tracie hob den Stab hoch, mit dem die Kerzen angezündet wurden.
    »Es ist eine einfache Zeremonie«, ließ Tracie verlauten, unsicher, was sie hier eigentlich demonstrierte oder warum. »Wir machen eine Kerze an und sprechen ein Gebet.«
    »Ein Gebet?« hakte Davey ein. Er schien zumindest entferntes Interesse zu verspüren. »Du meinst, eine Anrufung?«
    »Normalerweise beten wir das Ave Maria, wenn wir das Gebet an die Jungfrau richten«, sagte Tracie, die seine Frage gar nicht verstanden hatte.
    »Und dann weiter?« drängte Davey ungeduldig.
    »Das hat sie doch schon erklärt«, sagte Cessy. »Dann bekommen wir eine Segnung.«
    »Die besondere Vorsehung der Jungfrau besteht darin, denen zu helfen, die sich in Not befinden«, fuhr Tracie fort. Sie fragte sich ernsthaft, ob dies überhaupt ihre eigenen Worte waren. Die unmittelbare Nähe von Cessy bewirkte bei ihr aufs neue, daß sie doppelt dachte und doppelt sah. Als Cessy die Reihen der brennenden Dochte anschaute, spiegelten sich die Lichter deutlich in ihren makellosen, tiefblauen Augen wider. Tracie erkannte in ihnen einen uralten Kontinent, erstrahlt von glühenden Lavaströmen, die sich aus zahllosen Vulkanen ergossen, aus der Tiefe der Erde emporgestoßen. Und Tracie erkannte, daß sie hier dem Untergang von Cessys Zivilisation beiwohnte, so wie Cessy ihn erlebt hatte, wohl wissend, daß Cessy jung gewesen war, als die Katastrophe über sie hereinbrach.
    Jung und hungrig.
    »Blödsinn«, meinte Davey.
    »Sssst«, machte Cessy. »Sprich dein Gebet Tracie. Dann sprich eins für mich, und mach deine Kerzen an.«
    Tracie begann. »Heilige Maria, voller Gnaden, der Herr ist mit dir. Gebenedeit bist du unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus Christus. Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen.«
    Als Tracie geendet hatte, machte sie eine Kerze an und wiederholte das Ritual von Anfang bis Ende. Beim zweitenmal jedoch dachte sie nicht mehr an Cessy. Sie bemühte sich, sie aus dem Kopf zu bekommen. Sie nahm die Dämpfe lang erloschener Vulkane auf, nicht über die Nase, sondern tief im Inneren ihres Hirns. Der Geruch erinnerte sie an das lila Haus und an den schwarzen Raum. Er war nicht wirklich, und trotzdem wurde ihr speiübel. Als Tracie die zweite Kerze entzündete, schaute Cessy zu ihr herüber und lächelte. Cessy wußte, was sie im Begriff war zu tun, und es war ihr Recht. Cessy wußte, nichts würde sie aufhalten.
    »Fühlst du dich jetzt beschützt?« fragte Davey sarkastisch.
    »Ja«, entgegnete Cessy langsam. »Du mußt es auch mal versuchen.«
    Davey hatte offenbar keine Lust, den Kerzen allzu nahe zu kommen. Er ließ Paula den Stab bedienen. Auch hatte er keine Lust, Cessy aus den Augen zu lassen. Er behielt sie in seiner Nähe, neben dem Altar. Seinen Bemerkungen zum Trotz schien die Zeremonie Daveys Neugier geweckt zu haben. Da er selbst ja auch eine Zeremonie abhielt, um am Leben zu bleiben, war das verständlich. Vielleicht befürchtete er auch, seine Schwester könne eine magische Kraft erlangen, die er nicht besaß. Nachdem er ein paar hundert Jahre tot gewesen war, so überlegte Tracie, mußte er ja abergläubisch sein. Cessy schien das katholische Ritual als eine Art Köder zu gebrauchen. Aber zu welchem Zweck genau, das war Tracie nicht klar.
    Sie zog sich ein wenig nach rechts zurück, hinter die anderen drei, und verschränkte die Hände hinter dem Rücken.
    Ihre Fingerspitzen berührten die Flasche, die auf der Abtrennung stand.
    Sie schaute sie an. Sie las das Etikett.
    Tequila.
    Das war es! Wie hatte sie das vergessen können?
    Die Flasche Wasser, Tracie. Davey hat die Rasche Wasser in der Hand.
    Cessy hatte sie dazu gebracht, zu vergessen, daß es Tequila war! Aber warum? Tracie ergriff den Flaschenhals mit ihrer Rechten. Sie verspürte die gleiche, merkwürdige Kraft wie einen Moment zuvor, ihre Rachegelüste kehrten zurück wie die Überschwemmungswelle einer Wüstenflut. Sie starrte auf Daveys Hinterkopf.
    »Diese Zeremonie kann gar nicht funktionieren«, sagte Davey. »Sie hat
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