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Der schwarze Dom

Der schwarze Dom

Titel: Der schwarze Dom
Autoren: Christopher Pike
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mußte mit der linken Hand das rechte Handgelenk umklammern, um Docht und Feuer zusammenzubringen.
    Die Kerze entflammte, und der Junge richtete seine Augen auf die Jungfrau. Sie war wunderschön, und der Anblick ihres sanften Gesichts erlaubte es ihm für einen Moment, den Schrecken zu vergessen, der in ihm steckte. Er begann zu beten.
    »Heilige Maria voller Gnaden, der Herr ist mit dir. Gebenedeit bist du unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus. Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen.«
    Er wiederholte das Gebet ein dutzendmal, dann noch ein dutzendmal, und am Schluß fühlte er sich etwas besser. Er drehte sich um und setzte sich weiter hinten in eine Bank. Er mußte sich hinsetzen, mußte ausruhen und wollte in der Nähe der Türe sein, falls jemand kommen würde. Allerdings fragte er sich, ob er wirklich verfolgt worden war oder ob er sich das nur einbildete. Auch stellte er sich die Frage, ob sie es wagen würden, eine Kirche zu betreten, oder ob sie nicht vielmehr beim Anblick eines Kruzifixes in Flammen aufgehen würden. Die Vorstellung, sich an einem von Gott behüteten Platz aufzuhalten, spendete ihm Trost.
    Und doch hörten seine Hände deswegen nicht auf zu zittern.
    Die alte Frau in Schwarz blieb lange im Beichtstuhl. Als sie heraustrat, kniete sie nicht nieder, um ihre Buße zu tun. Sie warf ihm einen flüchtigen Blick zu und ging auf die Tür zu. Als sie an ihm vorbeikam, mühte er sich ein Lächeln ab; sie senkte jedoch den Blick und runzelte dabei die Stirn. Er sah gewiß aus, als käme er geradewegs aus der Hölle. Kaum war sie verschwunden, stand er auf und ging auf den Beichtstuhl zu.
    Der Priester hatte wohl gerade Schluß machen wollen. Der Junge meinte, den Beichtvater seufzen zu hören, als er die Tür öffnete und sich hinsetzte. Der Priester saß auf der anderen Seite einer lichtdurchlässigen Trennwand aus gewebtem Stoff, die ihn unter dem trüben Deckenlicht in unscharfem Schatten erscheinen ließ. Der Junge wußte nicht, ob er glücklich oder traurig darüber sein sollte, daß der Priester ihn nicht sehen konnte und umgekehrt. Aber letztendlich war es auch egal. Hauptsache war, der Priester würde ihm zuhören und ihn nicht auffordern, wieder zu gehen.
    Trotzdem fühlte sich der Junge im Beichtstuhl nicht sehr wohl. Er war spärlich beleuchtet und eng, ein Alptraum für jemanden, der unter Platzangst litt. Der Holzsitz war nicht einfach bloß hart sondern schien seinem Hintern schon vom bloßen Draufsitzen blaue Flecken zu verpassen. Nur mit größter Anstrengung vermochte er die Tür von innen zu schließen. Genausogut hätte er den Deckel seines eigenen Sargs schließen können. Er bekam sofort Atemnot und mußte sich zur Ruhe zwingen.
    »Ja?« sagte der Priester, nachdem der Junge eine Minute lang nicht gesprochen hatte. Der Geistliche sprach mit spanischem Akzent, was nicht verwunderlich war – schließlich lag die Kirche nicht weit von der mexikanischen Grenze. Zudem klang die Stimme wie die eines älteren Mannes, und der Junge redete sich ein, daß dies ein gutes Zeichen war. Er räusperte sich und fing an zu sprechen.
    »Vergib mir, Vater, denn ich habe gesündigt. Es ist Jahre her, daß ich zuletzt gebeichtet habe. Dies sind meine Sünden.« Er holte Luft: »Ich habe jemanden getötet.«
    »Was?« fragte der Priester entsetzt.
    »Ich habe jemanden getötet.«
    Der Geistliche machte eine Pause. »Meinst du das ernst?«
    »Ja, Vater. Ich meine es ernst.«
    Seine Stimme mußte überzeugend geklungen haben. Der Priester beugte sich hinter der Trennwand nach vorne; jetzt konnte der Junge seinen Atem im Gesicht spüren. Der Priester hatte Alkohol zum Abendessen getrunken. »Wie alt bist du, mein Sohn?« fragte der Priester leise.
    »Achtzehn.«
    »Wen hast du getötet?«
    »Das kann ich nicht sagen. Ich weiß es nicht. Das heißt, ich weiß es, aber es ist nicht wichtig.«
    »Es ist nicht wichtig?«
    Das ist im Augenblick das kleinste meiner Probleme, dachte der Junge.
    Unbehaglich rutschte er in der engen Kabine herum, sein rechter Ellenbogen stieß dabei gegen die angeschlagene Lehmwand zu seiner Rechten, worauf der orangefarbene Staub Flecken auf seinem ohnehin schon dreckigen Hemd hinterließ. Es hatte den Anschein, als hätten spanische Eroberer die Kirche vor Hunderten von Jahren errichtet.
    Plötzlich fühlte sich der Junge nicht mehr wohl in ihr, fühlte sich vielmehr gefangen. Der Priester
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