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Der schüchterne Junggeselle

Der schüchterne Junggeselle

Titel: Der schüchterne Junggeselle
Autoren: P. G. Wodehouse
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ich Zeit habe, kann ich ihm den Kopf zurechtsetzen, indem ich ihm sein Taschengeld entziehe. Aber ich brauche Zeit, und jetzt, eine Stunde vor dem wichtigen Dinner, wo jeden Moment die reichsten und exklusivsten Leute New Yorks kommen können, weigert er sich, den Frack anzuziehen, und sagt, daß ein Mann, der ein Mann ist, nichts weiter tun muß als seinen Büffel schießen, sich eine Scheibe davon abschneiden und sie unter dem Licht der Sterne des Westens braten. Was soll ich jetzt machen?«
    Lord Hunstanton zwirbelte nachdenklich seinen Schnurrbart.
    »Sehr peinlich.«
    »Ich dachte, wenn Sie zu ihm gingen und ein paar Worte mit ihm redeten …«
    »Ich glaube nicht, daß das zu etwas führen würde. Ohne ihn können wir wohl nicht essen?«
    »Wir wären dreizehn.«
    »Aha.« Das Gesicht Seiner Lordschaft hellte sich auf. »Ich hab’s! Miss Waddington muß ihn zur Vernunft bringen.«
    »Molly? Sie meinen, daß er auf sie hören würde?«
    »Er hat sie sehr gern.«
    Mrs. Waddington dachte nach.
    »Es ist den Versuch wert. Ich werde hinaufgehen und nachsehen, ob sie schon angezogen ist. Sie ist doch ein liebes Mädchen, nicht wahr, Lord Hunstanton?«
    »Bezaubernd, bezaubernd.«
    »Ich habe sie wirklich so gern, als ob sie meine eigene Tochter wäre.«
    »Sicherlich.«
    »Obwohl ich natürlich trotz aller zärtlichen Liebe nie töricht nachsichtig bin. So viele Mädchen werden heute durch törichte Nachsicht verdorben.«
    »Sehr wahr.«
    »Mein innigster Wunsch, Lord Hunstanton, ist es, das Kind eines Tages mit einem guten Mann glücklich verheiratet zu sehen.«
    Seine Lordschaft schloß hinter Mrs. Waddington die Tür und blieb einige Augenblicke in tiefen Gedanken stehen. Er dachte wohl darüber nach, wie lange es noch bis zum ersten Cocktail dauern würde, oder vielleicht meditierte er auch über ein größeres Problem – wenn es ein größeres Problem überhaupt gibt.
2
    Mrs. Waddington gelangte oben an und blieb vor der Tür stehen.
    »Molly!«
    »Ja, Mutter?«
    Mrs. Waddington runzelte die Stirn, als sie in das Zimmer trat. Wie oft hatte sie dieses Mädchen darauf aufmerksam gemacht, es solle »Mama« zu ihr sagen! Doch das war eine Kleinigkeit und in einem derartigen Augenblick nicht wert, erwähnt zu werden. Mit einem knarrenden Stöhnen sank sie in einen Sessel. Mrs. Waddington war wohl eine starke Frau, aber jetzt war sie, wie der Sessel, nahe am Zusammenbrechen.
    »Du guter Himmel, Mutter! Was ist denn geschehen?«
    »Schick sie fort«, murmelte Mrs. Waddington, auf die Zofe ihrer Stieftochter weisend.
    »Gut, Mutter. Ich brauche Sie nicht mehr, Julie. Soll ich dir ein Glas Wasser holen, Mutter?«
    Molly sah ihre leidende Stiefmutter besorgt an und wünschte, sie könnte ihr etwas Stärkeres als Wasser anbieten. Doch ihre verstorbene Mutter hatte sie in der törichten und beschränkten Weise altmodischer Mütter aufgezogen, und jetzt bedauerte Molly es zweifellos, daß sie nicht eines jener vernünftigen modernen Mädchen war, die immer einen Tropfen in einem juwelenbesetzten Fläschchen bei sich haben.
    Doch obgleich es ihr in dieser Krise unmöglich war, nützlich zu sein, hätte niemand leugnen können, daß sie, wie sie halb angekleidet dastand, außerordentlich reizvoll war. Wenn George Finch sie in diesem Augenblick hätte sehen können … Aber hätte George sie in diesem Augenblick gesehen, so würde er als Kavalier die Augen geschlossen haben; denn ihr augenblickliches Kostüm war nichts für männliche Augen.
    Doch wie schnell er auch die Augen geschlossen hätte, es wäre ihm nicht entgangen, daß Mulletts Gefühl für das richtige Wort noch besser gewesen war, als er angenommen hatte. Ganz entschieden war Molly Waddington knudelig. Sie hatte zartrosa Höschen an, und ihre seidenbestrumpften Beine verschwanden in kleinen Goldschuhchen. Ihre rosigen Finger hielten einen blauen Frisiermantel mit Schwanenfederbesatz fest. Ihr Haar rahmte ein kleines rundes Gesicht mit einem kleinen Stupsnäschen ein. Sie hatte große Augen, kleine, weiße, regelmäßige Zähne und ein kleines braunes Muttermal auf dem Nacken – kurz, wenn George Finch sie in diesem Moment auch nur den Bruchteil einer Sekunde gesehen hätte, wäre er unweigerlich, japsend wie ein atemloser Hund, zu Boden gestürzt.
    Mrs. Waddington atmete wieder ein wenig leichter und setzte sich mit gebieterischer Geste in ihrem Sessel auf.
    »Molly, hast du deinem Vater einen Indianerroman gegeben?«
    »Natürlich nicht.«
    »Bist du
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