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Der schüchterne Junggeselle

Der schüchterne Junggeselle

Titel: Der schüchterne Junggeselle
Autoren: P. G. Wodehouse
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mit der Miene eines ausgestopften Frosches, »weil ich sie liebe.«
    »Unsinn!«
    »Das ist gar kein Unsinn.«
    »Hast du mein Büchlein ›Die vernünftige Ehe‹ gelesen?«
    »Nein.«
    »Darin weise ich nach, daß die Liebe ein gegenseitiger Kenntnis entspringendes und von der Vernunft beherrschtes Gefühl ist, das sich über einen größeren Zeitraum erstreckt und auf einer Gemeinsamkeit der Geschmacksrichtungen basiert. Wie kannst du ein Mädchen lieben, wenn du nie mit ihr gesprochen hast und nicht einmal weißt, wie sie heißt?«
    »Ich weiß, wie sie heißt.«
    »Woher?«
    »Ich habe im Telefonbuch gesucht, bis ich herausgefunden habe, wer in der Neunundsiebzigsten Straße Nummer sechzehn wohnt. Das hat ungefähr eine Woche gedauert, weil …«
    »Neunundsiebzigste Straße sechzehn? Du willst doch nicht sagen, daß das Mädchen, das du angestarrt hast, die kleine Molly Waddington ist?«
    George fuhr auf.
    »Freilich heißt sie Waddington. Deshalb hat es auch so gemein lange gedauert, bis ich es im Telefonbuch gefunden habe. Waddington, Sigsbee H.« George erstickte vor Rührung und sah seinen Freund scheu an. »Hamilton! Hammy, alter Junge! Du – du willst doch nicht sagen, daß du sie kennst? Daß du sie wirklich kennst?«
    »Natürlich kenne ich sie. Sehr gut sogar. Ich habe sie schon oft in der Badewanne gesehen.«
    George zitterte am ganzen Leibe.
    »Das ist eine Lüge! Eine gemeine und niederträchtige.«
    »Als sie noch klein war.«
    »Ach so, als sie klein war?« George wurde ruhiger. »Kennst du sie denn wirklich schon so lange? Ja, dann mußt du doch selbst in sie verliebt sein.«
    »Gar keine Rede.«
    »Du stehst da und behauptest«, rief George ungläubig, »daß du dieses wunderbare Mädchen seit Jahren kennst und nicht in sie verliebt bist?«
    »Das behaupte ich.«
    George betrachtete seinen Freund mitleidig. Er konnte sich diese unerhörte Behauptung nur erklären, indem er annahm, bei Hamilton Beamish sei irgendeine Schraube los. Schade, denn sonst war er ein prachtvoller Kerl.
    »Ihr Anblick hat dich nie auf den Gedanken gebracht, daß du, um ein Lächeln auf ihre Lippen zu zaubern, den Himmel erstürmen, die Sterne herausreißen und ihr zu Füßen legen könntest?«
    »Durchaus nicht. Und wenn du außerdem bedenkst, daß der nächste Stern einige Millionen …«
    »Gut«, sagte George. »Gut. Lassen wir das. Und jetzt«, fuhr er schlicht fort, »erzähl mir alles von ihr, von ihrer Familie und ihrem Haus und ihrem Hund, und wie sie als Kind war, und wann sie sich die Haare hat abschneiden lassen, und wer ihr Lieblingsdichter ist, und wo sie zur Schule gegangen ist, und was sie am liebsten zum Frühstück ißt …«
    Hamilton Beamish dachte nach.
    »Also, ich lernte Molly kennen, als ihre Mutter noch lebte.«
    »Ihre Mutter lebt. Ich habe sie gesehen. Eine Frau, die wie Katharina die Große aussieht.«
    »Das ist ihre Stiefmutter. Sigsbee hat vor einigen Jahren zum zweitenmal geheiratet.«
    »Erzähl mir von Sigsbee.«
    Hamilton Beamish wirbelte nachdenklich eine Hantel durch die Luft.
    »Sigsbee H. Waddington«, sagte er, »gehört zu den Männern, die wohl in den empfänglichen Jahren ihrer Jugend von einem Maulesel einen Tritt auf den Kopf bekommen haben müssen. Man hat von Sigsbee H. Waddington mit Recht gesagt, daß er, wenn die Menschen Dominosteine wären, Doppelbank wäre. Was ihn unter anderem der ernsthaften Beachtung jedes intelligenten Menschen unwürdig macht, ist die Tatsache, daß er synthetischer Westländer ist.«
    »Synthetischer Westländer?«
    »Das ist eine wenig bekannte, aber allmählich an Zahl zunehmende Unterart, die dem synthetischen Südländer verwandt ist – dieser kuriose Typus ist dir zweifellos bekannt?«
    »Ich glaube nicht.«
    »Unsinn. Bist du nie in einem Restaurant gewesen, in dem das Orchester Dixie gespielt hat?«
    »Natürlich.«
    »Na also, da mußt du doch bemerkt haben, daß der Mann, der den Wonneschrei ausstößt, auf seinen Tisch springt und mit funkelnden Augen mit der Serviette winkt, immer ein Konfektionär namens Rosenthal oder Bechstein ist, der irgendwo in New Jersey auf die Welt gekommen ist und in seinem ganzen Leben nichts vom Süden gesehen hat. Das ist der synthetische Südländer.«
    »Aha.«
    »Sigsbee H. Waddington ist synthetischer Westländer. Mit Ausnahme eines Sommers, in dem er in Neu-England war, hat er sein ganzes Leben im Staate New York verbracht; aber wenn man ihm zuhört, könnte man glauben, er sei ein Cowboy in der
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