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Der Schritt hinueber - Roman

Der Schritt hinueber - Roman

Titel: Der Schritt hinueber - Roman
Autoren: Franz Tumler
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kommen, ich mußte doch noch mit in die Kantine!
    Er sagte: Du hast doch etwas zu essen mitgebracht!
    Sie sagte: Ja, von Fini!
    Sie breitete die Serviette auf und legte die Butterbrote, die Äpfel und den Speck darauf. Sie schnitt die Brote in Streifen. Sie machte sich wieder Umstände. Aber Licht wollte sie trotzdem nicht machen, – sie nahm Jorhans Zahnputzglas und schenkte den Alkohol ein.
    Bei ihm mußte sie sich um alles kümmern, bei Fräulein Pallas-Ledwinka nicht, da war sie bei sich selber, und da blühten die Gegenstände unter den bloßen Blicken auf, die Schritte gossen sich zum Raum aus, der flüchtige Gedanke an einen Menschen bewirkte es – schon trat er ein und ließ sich nieder. Susanna sah es vor sich: ein Tuch, aber kein Tisch darunter, trotzdem trug das Tuch die Gedecke mit Gebäck und Rotwein aus den Beständen des Lazaretts, sie verstand sofort: Fräulein Pallas-Ledwinka gehörte zum Personal, sie führte deshalb auch einen kleinen Haushalt für Einladungen, es gab in ihrem Zimmer Teller und Gläser. Aber niemand legte es an auf Essen oder Trinken. Man war im Stillen zusammengekommen, und nach und nach erst überblickte Susanna die Gesellschaft, die da in ihrem Inneren versammelt war: nicht bloß dieses Fräulein, sondern auch der Kapitän und Kolja und Axel, und an der Mauer standen Spasso und die schwarzhaarige Lehrerin in inniger Umarmung. Woher kenne ich die nur? dachte Susanna. Aber dann erinnerte sie sich an die Zukunft, Fini hatte ihr von der Lehrerin erzählt. Also auch das gibt es, dachte sie, natürlich, diese kleine Person darf hier ihren Spasso besuchen, ebenso wie ich die Meinen besuche, ohne daß Jorhan es merkt; auch im Lager, wo sie wohnt, wird man nichts merken. Es ist eigentlich hübsch, zwei Leute zu sehen, denen es genug ist, einander in Armen zu halten. Bei uns anderen, wie wir uns hier treffen, wird es schwieriger sein, obgleich wir ja jetzt Zeit haben – das begriff sie sofort, daß nun hier bei Fräulein Pallas-Ledwinka unendlich Zeit war für alles.
    Nur den Kapitän sah sie auf die Uhr blicken, aber auch das verstand sie: seine Zeit war bemessen.
    Ich glaube, er ist nur dir zuliebe gekommen, sagte das Fräulein. Es war ähnlich wie nachmittag, eine Stimme redete, aber nur Flocken schwebten von dem Mund, der wie eine Muschel war, und es dauerte eine Weile, bis Susanna alles in Worte umgesetzt hatte. Fräulein Pallas-Ledwinka behandelte den Kapitän mit Ehrerbietung, auch Axel und Kolja wandten sich ihm respektvoll zu. Etwas von der grünen Machtwolke schien auch hier an ihm zu haften, obwohl er selber geflissentlich tat, als befinde er sich unter seinesgleichen, und auf einem gewöhnlichen Stuhl Platz nahm. Er begrüßte Susanna. Setzen Sie sich hierher zu mir, sagte er. Und er nannte sie Mascha, – es war ihr nicht klar, ob er einen Decknamen mit Absicht gebrauchte oder ob er sie nur mit jemand verwechselte. Aber sie wußte ja, daß sie gemeint war, und ohne alle Umstände setzte sie sich ihm auf den Schoß, nur mußte sie sich bei dieser Gelegenheit wundern, daß sein Haar weiß geworden war.
    Drüben, so erinnerte sie sich, war es doch grau gewesen, – aber es focht sie nicht weiter an. Hatte sie sich ihm etwa drüben auf den Schoß gesetzt während seiner Einladungen, nein, das konnte niemand behaupten! Aber hier tat sie es. Hier war alles anders. Man brauchte keine Umstände zu machen. Alles war so harmlos. Eine Lähmung von Glück befiel sie, daß sich nun alles so einfach löste.
    Wissen Sie, meine Liebe, sagte der Kapitän, Sie haben sich drüben, glaube ich, immer zu sehr angestrengt. Ihre – soll ich sagen – Einbildungen haben Sie überanstrengt, und ich möchte wetten, daß Sie auch hierher wieder mit einer endlosen, eingebildeten Geschichte gekommen sind. Nein, Mascha, Sie lügen nicht! Sie haben ja auch nie richtig gelogen, Sie waren nur unzufrieden und wollten sich nicht bescheiden, – wahrscheinlich waren Sie zu hochmütig, zu stolz, zu anspruchsvoll, zu sehr von Wünschen besessen, Illusionen, Eitelkeiten, selbsterfundenen Personen – Sie hatten ein bißchen zuviel Phantasie. Das war Ihr ganzer Fehler, – aber ich will Ihnen sagen, ich habe das gar nicht als Fehler empfunden. Im Gegenteil, ich lasse es nach wie vor gelten, wenn man auf Ihre Art unbescheiden ist! Glauben Sie, sonst wäre Ihnen das alles geglückt? Sie machen jetzt eine außerordentliche Figur! Stellen Sie sich einmal vor, was sonst aus Ihnen geworden wäre! Und erst aus uns!
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