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Der Schreiber von Córdoba

Der Schreiber von Córdoba

Titel: Der Schreiber von Córdoba
Autoren: Melanie Little
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er.
    Dann gibt er ein absolut grässliches Rumpeln von sich.
    Ich versuche, es zu ignorieren. Und erst recht den starken,
    erregenden Duft des Baums.
    (Die Früchte gehören alle der Krone.
    Ich habe keine Lust, diese Hand
    an einen Sonderrichter zu verlieren, der irgendwo lauert –
    gerade, wenn ich Bea neben mir habe, die sie hält.)
    Knurr! Schon wieder.
    Ich kann nur stillsitzen und beten,
    dass Bea bei all ihren Vorzügen
    nicht auch ein scharfes Gehör hat.
      
    Kristalle
    Jetzt, wo der Frühling da ist,
    bekommen wir, was wir den ganzen Winter
    ersehnt haben.
    Es schneit!
    Die Leute stehen in den Straßen, mit weit herausgestreckter Zunge
    und himmelwärts zeigender Nase.
    Kristalle aus reiner Kälte landen sanft in unserem Mund.
    Sie schmelzen zu Erinnerungen,
    noch ehe wir ihren Geschmack erfasst haben.
    Unsere Gesichter sind nass von den Flocken.
    Aber bald sehe ich –
    Amirs Gesicht wird nicht mehr trocken.
      
    Null
    »Amir, warum fragst du nicht diesen Hafis,
    wo deine Eltern jetzt sind?«
    Amir schüttelt den Kopf.
    »Und warum nicht?«, bohre ich nach.
    »Komm, wir versuchen es.«
    Sein Gesicht wird flammend rot.
    »Du bist doch so gut in Zahlen«,
    sagt er. »Weißt du nicht über die Null Bescheid?
    Nimm einen Karren voller Nullen,
    häufe sie zu einem Berg auf –
    was hast du dann?
    Immer noch null.«
    »Hafis kann ein Licht auf das werfen,
    was schon da ist.
    Das ist alles.«
    »Und jetzt, Ramón, mein Herr «, sagt er
    und wirft ärgerlich den Kopf in den Nacken,
    »bitte – lass mich in Ruhe.«
      
    Raro
    »Es raro« , sagt sie.
    Seltsam.
    Ich lerne schnell, wie sehr Bea
    dieses Wörtchen liebt.
    Alles ist raro . Die Wolken am Himmel,
    die heute wie Hähne aussehen. Sie sind raro .
    Das Mädchen dort drüben, siehst du nicht, dass sie eine Perücke trägt?
    Weiß sie denn nicht, dass die
    aus den Haaren von Toten genäht werden? Sie ist wirklich rara .
    Beinahe alles, was wir sehen,
    wird so beurteilt.
    Ich frage sie nicht, wie das sein kann.
    Wenn alles seltsam ist, dann muss seltsam
    doch normal sein. Stimmt’s?
    Eines Tages am Fluss
    kommt ein Leprakranker vorbei.
    Wir lösen uns aus unserem Kuss
    beim Läuten der Glocke an seinem Hals.
    Wir sagen es gleichzeitig: Raro!
    Und lachen, obwohl
    überhaupt nichts witzig ist.
    Ich wundere mich, dann machen wir weiter.
    Weiß, vermutet oder fürchtet Bea,
    dass ich ein al-Buraq bin?
    Und wenn, ist dann raro das schlimmste Wort,
    das sie für mich gebrauchen würde?
      
    Ferdinands Heer
    König Ferdinand bricht mit einem so gewaltigen Heer auf,
    dass man meinen könnte, ihm gehörten alle Männer
    der Welt an.
    Kaum zu glauben, dass noch genügend übrig sind,
    um diese Menge zu bilden.
    Solche wie ich – zu arm, um ein Pferd oder ein Schwert
    zu besitzen – bleiben zurück.
    Wir rufen ihnen zu und klatschen.
    Frauen werfen Girlanden, schwenken Taschentücher,
    die mit Duft durchtränkt sind. Die Luft ist schwer
    von Parfüm und der ersten Hitze des Frühlings.
    Es ist nicht fair.
    »Ich sollte auch dabei sein«, sage ich.
    Amir wirft mir einen durchdringenden Blick zu.
    »Natürlich nicht, um Mauren zu töten.
    Nur, um von diesem blutdurstigen Ort wegzukommen.«
    Amir schüttelt den Kopf.
    »Trinken Kriege etwa kein Blut?«
    Aber er klingt nicht ärgerlich.
    Seine Augen folgen den Soldaten
    mit geistesabwesendem Blick.
      
    Frühstück mit Kuh
    Keine heiße Schokolade mehr zum Frühstück
    für Mama und mich. Wir versuchen es stattdessen
    mit einem Brot, vom Dienstag übrig geblieben,
    eingeweicht in brackiges warmes Wasser.
    Dann ist es wenigstens eher
    wie ein Klumpen feuchter Sand
    und nicht so steinhart, dass die Zähne splittern.
    Es gibt eine gute Nachricht: Bald haben wir endlich
    die Pflanzen von Kastilien hinter uns.
    Und eine schlechte: Wir haben keine Ahnung,
    was wir als Nächstes tun.
    Der Berg von Papier, den Papa
    aus Toledo mitgebracht hat, ist jetzt nur noch
    ein kleines Häufchen.
    Papier ist zwar nicht so teuer wie Pergament,
    aber das heißt nicht, dass es billig ist.
    Papa sagt, genug Papier, um nur einen Auftrag auszuführen,
    kostet fast genauso viel wie eine sehr große Kuh.
    Wenn ich im Bett liege, mache ich ein neues Spiel.
    Welches von allen Büchern in der Welt würde ich,
    wenn es meins wäre, gegen diese Kuh eintauschen?
    Oder welche Seite von welchem Buch würde ich
    für einen Happen gutes Rindfleisch eintauschen?
    Oder selbst noch für einen Fuß, ein Auge
    oder eine Zunge?
    Ich könnte stattdessen
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