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Der Schönheitschirurg

Der Schönheitschirurg

Titel: Der Schönheitschirurg
Autoren: Richard Gordon
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lieferten nur zeitverschwendende photographische Platten von Novembernebeln. Der Professor entschuldigte sich. Dann ging Dr. Wedderburn, nicht ohne ein paar Brosamen Trost zu verstreuen, die man später in Ruhe aufpicken konnte. Der Professor ging in sein Arbeitszimmer und setzte sich an seinen Zylinderschreibtisch. Er versuchte mit der neuen Situation fertig zu werden. Wenn Graham krank in seinem Zimmer lag, würde das den Haushalt in dieser Kriegszeit enorm belasten, vor allem, da nur ein Dienstmädchen vorhanden war. Das Leben war schon beunruhigend genug, mit einem Sohn in Frankreich, als Assistenzarzt an der Front. Es wäre besser, Graham in ein Sanatorium zu geben, wie Wedderburn vorgeschlagen hatte, wo sie auf solche Tragödien spezialisiert waren. Er würde den armen Jungen regelmäßig besuchen, obwohl Bahnfahrten immer unerträglicher wurden und die Reisespesen beachtlich waren. Er wünschte verdrießlich, Grahams Mutter wäre noch am Leben und könnte diese Last teilen. Es war eine schwerwiegende Distraktion für seinen professoralen Geist, der sich ja, von häuslicher Verantwortung für triviale und wichtige Angelegenheiten befreit, wie ein akademischer Adler über die freudlosen und berghohen Probleme der menschlichen Anatomie schwingen sollte. Er läutete dem jungen Dienstmädchen mit den Aknepusteln. Es war erst zehn Uhr vormittag, aber er bat sie, ihm ein Glas Portwein zu bringen.
    Das von Dr. Wedderburn empfohlene Sanatorium lag an der Küste von Kent, nahe der Bucht von Pegwell, von schaumigem Meer, Schlamm, schmutzigen Sanddünen und Krautfeldern umgeben, die einen Geruch verströmten, der Graham für den Rest seines Lebens gegen dieses Gemüse einnahm. Drei Monate vergingen, ehe ihn die medizinischen Autoritäten auch nur eine Zeitung ansehen ließen, aus der er erfuhr, daß die Inviolable auf ihrer ersten Seefahrt gesunken war - mit Kanonen, Panzerplatten, Besatzung, Onkel und allem anderen. In diesem Augenblick begann seine Genesung.
    «Spes phthisica», murmelte der Oberarzt. Es war dies ein etwas verächtlicher Fachausdruck für die Hoffnung, die so viele seiner Patienten entgegen aller Wahrscheinlichkeit am Leben hielt. Aber die zornigen Spitzen auf Grahams Fieberkurve beruhigten sich zu sanften Wellen, und die Krankheit brannte sich aus. Vielleicht war die vom Chefarzt verschriebene Willenskraft dadurch angeregt worden, daß die Möglichkeit zu sterben auf dem Schiff Gewißheit gewesen wäre. Vielleicht war Graham zäher, als er aussah. Vielleicht - eine nahezu undenkbare Möglichkeit - hatte sich Dr. Wedderburn in der Diagnose geirrt. Jedenfalls mußte im Frühling 1918 selbst der Chefarzt dem jungen Doktor Lebenschancen zubilligen.
    Da er nichts anderes zu tun hatte, um die Zeit zwischen den Fiebermessungen auszufüllen, begann Graham zu zeichnen. Er zeichnete alles in seiner Welt: den Kirschbaum, der einen Meter vor dem Fußende des rotbedeckten Bettes lieblich blühte, die Patienten in den Nachbarbetten, Harry, den stiefelgesichtigen Spitaldiener, und sogar Schwester Constable. Sie hatte ein vierkantiges Gesicht, trug einen roten Umhang und ihre Auszeichnungen und war im Sanatorium weit unbeliebter als der deutsche Kaiser. Graham stellte mit ein paar Bleistiftstrichen fest, daß sie ihm sehr ähnlich sehen würde, wenn sie ihren Schnurrbart wachsen ließe. Er war über sein Talent überrascht und nahm an, er müsse es wohl von seiner Mutter geerbt haben, zusammen mit seiner Brust.

2

    Dr. Olaf Sarasen - der auf den selbstgewählten Titel «Mister» der englischen Chirurgen keinen Wert legte - hatte sich ungeduldig in den Krieg gestürzt, lange bevor er sein eigenes Land erfaßte. Im Sommer 1915 landete er, unangemeldet, unbekannt, keiner Autorität verpflichtet, aus New York in Liverpool, mit mehreren Kisten voll Operationsinstrumenten und Geräten, zwei großartig eingerichteten Sanitätswagen und anscheinend unbegrenzten Mitteln. Er trug eine Uniform aus zweireihigem Khakirock mit Lederknöpfen, Reithose, Kavalleriestiefeln und Sporen, die Schultern geschmückt mit den Sternen und Streifen der amerikanischen Flagge und einer goldgestickten Aufschrift: «U. S. Medical Volunteers». Diese Einheit war, ebenso wie die Kostümierung, seine alleinige Erfindung.
    In London angekommen, trompetete Dr. Sarasen die alleinseligmachende Doktrin der plastischen Chirurgie über die friedliche, aber unfruchtbare Ebene medizinischen Denkens. Er nützte dazu ohne Unterschied fachliche und allgemeine
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