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Der Schönheitschirurg

Der Schönheitschirurg

Titel: Der Schönheitschirurg
Autoren: Richard Gordon
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Patienten, die sich selbst bemitleideten, zutiefst verletzte. Er erschien in einem großartigen Rolls-Royce Silver Ghost, mit einem Chauffeur, der so ostentativ über das wehrpflichtige Alter hinaus war, daß man fast fürchten mußte, er würde jeden Augenblick tot über dem Lenkrad zusammenbrechen. Dr. Wedderburn strahlte wie ein Leuchtturm Zuversicht aus. Grahams Vater, Professor Trevose, erwartete ihn in der Halle seines hohen, düsteren Hauses in Hampstead. Er kannte den Arzt gut. Der Professor selbst war Vorstand des Anatomischen Instituts in Blackfriars und zwang Dr. Wedderburn oft seine Gesellschaft auf. Dem war sie so lästig, daß er manchmal sein Mittagessen versäumte, nur um Trevose auszuweichen.
    Die Untersuchung des Facharztes war eher eindrucksvoll als gründlich. Er fand die rechte obere Lunge etwas weniger verschieblich als die linke, den Ton bei der Auskultation mit seinen fleischigen Fingern ein wenig unrein, und die Atemgeräusche, die durch sein teures Stethoskop rasselten, ein klein wenig vermindert. Es könne ein Tbc-Herd an der rechten Lungenspitze vorhanden sein - müsse aber andererseits nicht. Jedenfalls sei Fieber im Verein mit Bluthusten in einem so schwächlichen Körper eine tödliche Allianz. Die Erfahrung allein sagte ihm, daß die Krankheit durch den armen jungen Mann galoppieren und ihn innerhalb eines Jahres in den Himmel tragen würde. Diese Ansicht legte er Grahams Vater unter vier Augen in der Halle dar und meinte, daß ein Sanatorium der geeignete Ort für diesen unvermeidlichen Lauf der Dinge sei.
    «Dieser verdammte Kochsche Bazillus», rief Professor Trevose. Er zog ärgerlich an seinem schweren Schnurrbart und grübelte, warum Gott ausgerechnet zu ihm so ungnädig sei. Wenn ihn dieser Unglücksfall in doppelt schlechte Laune stürzte, so war das seine normale Reaktion auf jede emotionelle Belastung. «Hat er uns nicht schon genug angetan? Er ist der Fluch unserer Familie.»
    «Ach ja, es war sehr traurig mit Ihrer armen Gattin.» Da Wedderburn sich daran erinnerte, daß sie in seiner Obhut an Tuberkulose gestorben war, fügte er noch inbrünstiger hinzu: «Ich tat natürlich alles menschenmögliche.»
    «Daran habe ich nie gezweifelt, Wedderburn.» Sie standen in der dunkel getäfelten Halle mit ihrem verschnörkelten Kleiderständer und zwei Drucken aus Leonardo da Vincis anatomischen Skizzen. «Aber der Junge war natürlich närrisch. Er hat sich für sein Abschlußexamen arg überarbeitet, das muß ja sein Allgemeinbefinden geschwächt haben. Und das war seine eigene Schuld. Ganz und gar seine Schuld. Er rührte nicht einen Finger bis zum letzten Monat vor der Prüfung, wenn ich ihn auch noch so sehr antrieb.»
    «Wir können doch kaum von unseren Studenten erwarten, daß sie ihr ganzes Leben im Schatten so unangenehmer Dinge wie Prüfungen verbringen, nicht wahr?» Doktor Wedderburn sah alles in rosigem Licht, selbst Krankheit und Tod. Das junge, flachbrüstige Dienstmädchen, das unter Akne litt, reichte ihm seinen Zylinder und seine grauen Handschuhe. «Ist Ihnen schon lange aufgefallen, daß Graham nicht ganz gesund war?»
    «Nein, gar nicht. Es ist ein Blitz aus heiterem Himmel.»
    « Kein Nachtschweiß? »
    «Nicht daß ich wüßte.»
    «Das Gewicht war ziemlich konstant?»
    «Jedenfalls soweit sich sehen konnte. Es ist natürlich möglich, daß es nicht ganz so ernst ist, wie wir fürchten», versuchte Grahams Vater einzuwenden. «Eine geplatzte Ader im Hals vielleicht, oder etwas Ähnliches?»
    «Möglich, möglich», sagte Dr. Wedderburn. Beide wußten genau, daß dies der erste der vielen Strohhalme war, an die sich Tuberkulosekranke klammern. «Wir werden eine Sputumprobe brauchen, um sie nach säurefesten Bazillen zu färben. Vielleicht würden Sie die Güte haben, das Glas im bakteriologischen Labor in Blackfriars abzugeben? Selbstverständlich werden wir unsere Ansicht über die Diagnose ändern, wenn das Ergebnis negativ sein sollte.» Der Professor schlug vor, den Patienten zu röntgen. Dr. Wedderburn war schockiert. Solche Winkelzüge waren nichts für den verantwortungsbewußten Arzt. Er breitete seine behandschuhten Hände aus. Der gütige Gott habe den Arzt mit seinen fünf Sinnen begabt. Die vier klassischen Untersuchungsmethoden - Inspektion, Palpation, Perkussion und Auskultation - seien mächtig genug, auch die verborgenste Diagnose ans Licht zu bringen, und würden es immer bleiben. Diese Herren mit ihren knisternden und gefährlichen Maschinen
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