Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schönheitschirurg

Der Schönheitschirurg

Titel: Der Schönheitschirurg
Autoren: Richard Gordon
Vom Netzwerk:
Treves, der Blinddarm-Chirurg König Edwards VII., unter seine Fittiche genommen hatte. Als sie aber näher kamen, verriet ihre Krankenhauskleidung, daß die Mißbildungen von Menschenhand stammten und nicht angeboren waren. Sie waren zu dritt. Vor seinem Liegestuhl zögerten sie zuerst, aber er kam leicht genug mit ihnen ins Gespräch: sein Doktortitel und die Zigaretten, die Harry auf Kommissionsbasis im Dorf besorgt hatte, wirkten beruhigend. Er rauchte übrigens mit einem sechs Zentimeter breiten, fachmännisch angelegten Verband um die Finger, der Schwester Constables Hexenblick für Nikotinverfärbungen irreführen sollte.
    «Setzen Sie sich doch», lud er ein. «Schimpfen wir einander vor. Das Leben hier ist öde, nicht wahr? Bekommen Sie drüben auch nur Tickler’s Pflaumen-und-Apfel-Marmelade? Wir Tuberkulösen werden damit bis an die Zähne vollgestopft.»
    Sie verstanden einander bald großartig. Die Patienten waren froh, daß jemand Interesse an ihnen zeigte - und sie waren doch nicht einmal Offiziere. Da das Dorf für sie Sperrgebiet war, war ihnen jede Abwechslung willkommen. Außerdem konnte man immer ein paar Zigaretten extra brauchen. Und überdies hatte der arme junge Kerl Tuberkulose. Nichts heitert so sehr auf wie ein Mensch, der einem leid tun kann.
    Es erleichterte sie, daß Graham weder Entsetzen noch Mitleid zeigte. Er fühlte auch keines von beiden. Kein Arzt scheint so herzlos zu sein wie der frisch approbierte, denn sein Kopf strotzt kämpferisch von Therapien für eindeutige Krankheitsbilder, er hat reiche Erfahrung mit Demonstrationsfällen, aber noch keine mit Menschen. Sie interessierten ihn ganz einfach als Fälle, besonders der Obergefreite ohne Nase, der stattdessen eine Beule wie den Schnabel einer Henne mitten auf der Stirne trug.
    «Nächsten Monat wird meine neue Nase daraus, Doktor.» Der Mann berührte zärtlich seine Beule, halb belustigt, halb stolz. «Im vergangenen Monat war es ein Stück Rippe, hier unten. Er kann etwas, der Doktor Sarasen, das muß man sagen.» Er sprach mit der Hochachtung, die jeder für einen Mann hat, der oft und gründlich an ihm herumgeschnitten hat. «Wir sehen zwar aus wie eine Horde Schreckgespenster, denke ich. Man kann den Leuten im Dorf gar keinen Vorwurf machen, finden Sie nicht? Aber es ist doch recht unbequem, wenn man ein Glas Bier oder ein paar Zigaretten kaufen will.»
    «Wo sind Sie verwundet worden?»
    «Wipers. Bei der großen Offensive im letzten Sommer.»
    «Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich Sie zeichne?» fragte Graham plötzlich.
    Der Mann sah beunruhigt drein. «Mich zeichnen? Also, ich bin doch wirklich kein Ölbild.»
    «Ich sage Ihnen, Sie sind viel interessanter für mich als alle Gemälde in der Nationalgalerie. Wissen Sie, was Sie sind? Sie sind ein medizinischer Pionier. Wirklich, ich scherze nicht. Der ganze komplizierte Zirkus hängt von ein paar Versuchskaninchen und tapferen Kerlen wie Ihnen ab. Sie sind wie Jupille, der Hirtenjunge, an dem Pasteur sein Tollwutserum ausprobiert hat. Oder wie Eben Frost, der sein Leben aufs Spiel setzte und vor dem Zahnziehen ein unbekanntes Anästhetikum einatmete. Oder der kleine Jimmy Phipps, der erste Junge, den Jenner impfte.» Graham war sehr versiert in der Geschichte der Medizin, die er im großen und ganzen interessanter fand als die Medizin selbst. «Man hat dem Jupille ein Denkmal in Paris errichtet. Vielleicht sollte man Ihnen eins im Dorf aufstellen. Sie müssen sich als Wohltäter der Menschheit sehen!»
    Der Obergefreite grinste. Auf solche Ehren konnte er verzichten. «Was mir Sorgen macht, Doktor, ist, was ich eigentlich blasen soll, wenn ich mir einen Schnupfen hole.»
    In einer Welt, die ihre Fensterläden schließt und ihre Kinder versteckt, wenn man in ihre Nähe kommt, muß man einen sehr spezialisierten Sinn für Humor entwickeln.
    Je mehr Graham zeichnete, um so mehr faszinierten ihn die zerstückelten Gesichter. Während der Ausbildung, die man ihm in herablassender Weise am Blackfriars Hospital hatte angedeihen lassen, war ihm nie etwas über Wiederherstellungschirurgie zu Ohren gekommen. Ihr großer Chirurg, Sir Horace Barrow, der dafür berühmt war, daß ihm niemand an Schnelligkeit, Geschicklichkeit und Vergnügen an einer Amputation gleichkam, arbeitete streng nach dem Prinzip: «Wenn dich dein Auge ärgert, reiße es aus.» Graham zeichnete ein halbes Dutzend Verwundete aus verschiedensten Blickwinkeln und fügte manchmal eigene Verbesserungen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher