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Der Schneider

Der Schneider

Titel: Der Schneider
Autoren: Carre
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Mickies Kopf. Dann schmiß es die Hälfte seiner Insassen auf die Straße, damit sie bei der Bekämpfung des Feuers helfen konnten, und zwar so, wie die Leute in Guararé das Feuer bekämpft hatten, indem sie es ignorierten. Und eine ganze Menge anderer Leute hatte klugerweise die Flucht ergriffen, lange bevor es irgend etwas gab, wovor sie hätten fliehen müssen – wie bei einer Brandschutzübung –, und schrien, bevor sie überhaupt getroffen wurden. Und das alles, stellte Pendel unter dem Geschrei Louisas fest, hatte bereits stattgefunden, bevor die erste Druckwelle seinen Balkon in Bethania erreichte, bevor das erste Beben den Besenschrank unter der Treppe erschütterte, wo Louisa sich mit den Kindern versteckt hielt.
    »Dad!« Diesmal war es Mark. »Dad, komm rein. Bitte! Bitte!«
    »Daddy, Daddy, Daddy.« Hannah. »Ich liebe dich!«
    Nein, Hannah. Nein, Mark. Von Liebe bitte ein andermal, und reinkommen kann ich leider nicht. Wenn ein Mann die Welt in Brand steckt und obendrein auch noch seinen besten Freund tötet und seine Nicht-Geliebte nach Miami schickt, um ihr weitere Aufmerksamkeiten der Polizei zu ersparen – dabei hatte ihm ihr abgewandter Blick gesagt, daß sie nicht dorthin fliegen würde –, dann sollte er besser die Idee aufgeben, sich als Beschützer aufzuspielen.
    »Harry, die haben das bestens geplant. Die Ziele sind genau festgelegt. Hochmodernes Gerät. Mit den neuen Waffen kann man aus einer Entfernung von vielen Meilen ein einzelnes Fenster treffen. Es werden keine Zivilisten mehr bombardiert. Komm jetzt bitte rein.«
    Aber obwohl er es in mancherlei Hinsicht wollte, hätte Pendel nicht hineingehen können, denn wieder einmal versagten ihm seine Beine den Dienst. Und, wie ihm auffiel, taten sie das jedesmal, wenn er die Welt in Brand steckte oder einen Freund umbrachte. Über El Chorillo erhob sich jetzt ein greller Feuerschein, aus dem grauer Rauch nach oben quoll – doch wie die Katzen war auch der Rauch nicht gänzlich grau, sondern unten rot von den Flammen und oben silbern von den Leuchtraketen. Die anschwellende Feuersbrunst hielt Pendel in ihrem Bann, er konnte weder Augen noch Beine auch nur einen Zentimeter bewegen. Er konnte nur dorthin starren und an Mickie denken.
    »Harry, ich will wissen, wo du hingehst, bitte!«
    Das wüßte ich selber gern. Dennoch verwirrte ihn ihre Frage, bis er bemerkte, daß er sich tatsächlich in Bewegung gesetzt hatte, aber nicht zu Louisa und den Kindern ging, sondern weg von ihr, weg von der Scham, die er ihretwegen empfand, daß er mit weit ausholenden Schritten auf einer festen Straße bergab ging und den gleichen Weg einschlug wie Petes Mercedeskinderwagen, nachdem der sich selbständig gemacht hatte; allerdings sehnte er sich verrückterweise danach, kehrtzumachen, den Hügel hinaufzulaufen und Frau und Kinder in die Arme zu nehmen.
    »Harry, ich liebe dich. Was auch immer du angestellt hast, ich habe Schlimmeres getan. Harry, es ist mir egal, was du bist oder wer du bist und was du wem angetan hast. Harry, bleib hier.«
    Er ging mit weit ausholenden Schritten. Der steile Hügel drückte von unten gegen die Absätze und trieb ihn an, und wer immer weiter bergab geht, dem fällt es zunehmend schwerer kehrtzumachen. Bergabgehen war so verführerisch. Und er hatte die Straße für sich allein, denn im allgemeinen bleiben während einer Invasion alle, die nicht gerade zum Plündern unterwegs sind, zu Hause und versuchen, ihre Freunde anzurufen – und genau das taten die Leute hinter den erleuchteten Fenstern, an denen er vorbeilief. Und manchmal erreichten sie ihre Freunde, denn die wohnten wie sie selbst in Gebieten, in denen die öffentliche Versorgung zu Kriegszeiten nicht eingestellt wurde. Aber Marta konnte niemanden anrufen. Marta lebte unter Menschen, die, wenn auch nur dem Gefühl nach, von der anderen Seite der Brücke kamen, und für sie alle bedeutete Krieg eine ernste, oft sogar tödliche Bedrohung ihres täglichen Lebens.
    Er ging weiter, wollte immer noch kehrtmachen, tat es aber nicht. Er war zutiefst erregt und mußte unbedingt einen Weg finden, Erschöpfung in Schlaf umzuwandeln, und vielleicht war der Tod ja wenigstens dazu gut. Er hätte gern etwas getan, das länger dauerte, zum Beispiel hätte er gern noch einmal Martas Kopf an seinem Hals, ihre Brust in seiner Hand gespürt, aber er hatte das Problem, daß er sich für das Zusammensein mit anderen Menschen nicht geeignet fühlte und viel lieber mit sich alleine war, weil
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