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Der Schlangenmensch

Der Schlangenmensch

Titel: Der Schlangenmensch
Autoren: Stefan Wolf
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war.
    Mit singenden Reifen machte er
sich an die Rückfahrt. Natürlich würde er zu spät kommen. Na, wenn schon! Doch
er wollte es nicht auf die Spitze treiben. Obwohl er Klassensprecher der 9b und
Supersportler war und mit seinen waghalsigen Abenteuern immer wieder für
Gesprächsstoff sorgte — eine Extra-Wurst wurde ihm deshalb noch lange nicht
gebraten.
    Die Heimordnung galt für ihn
wie für jeden anderen Internatsschüler. Allerdings — heimlich und besonders
nachts — wurde dieses ausgeklügelte Regelwerk fortwährend mißachtet.
    Auf seinem Rennrad sprintete er
durch die Innenstadt in südliche Richtung.
    Die Nacht war dunkel, der
Himmel verhangen. Aber ein lauer Wind strich durch die Straßen, und in den
Gärten duftete es nach Frühling.
    Tarzan kannte viele
Schleichpfade und Abkürzungen — wenn es heimwärts ging zur Schule. Welchen Weg
er einschlug, hing davon ab, aus welcher Richtung er kam. Außerdem hing es ab
von der Jahreszeit. Bei heftigem Schneefall, zum Beispiel, waren die Wege des Klostertaler
Parks fast immer unpassierbar.
    Aber jetzt, in der
Frühlingsnacht, bot sich der Park als Abkürzung an.
    Er lag weit im Süden der Stadt
und ging über in einen Forst. Eigentlich versteht man unter einem Park etwas
anderes: eine künstlich gestaltete Landschaft. Aber diese Grünanlage war sich
selbst überlassen und verwildert.
    Immerhin — auch hier
asphaltierte Wege. Doch es gab weder Laternen noch Lichtpeitschen.
    Tarzan mußte höllisch
aufpassen. Das Licht der Fahrradlampe reichte nicht weit.
    Als er eine dichte Buschgruppe
erreichte, machte er Halt.
    Mehrere Flaschen Coca Cola, das
war doch eine Menge Flüssigkeit. Bis zum Internat hätte er das kaum noch
geschafft...
    Als er dann wieder aufs Rad
steigen wollte, hörte er schlurfende Schritte.
    Eine dunkle Gestalt trottete
von der Straße heran. War der Mann betrunken? Er torkelte etwas. Mehr ließ sich
von ihm nicht erkennen, denn die Nacht war wirklich wie Tinte.
    Seufzend setzte er sich auf
eine der Ruhebänke.
    Die Schirmmütze hatte er sich
tief in die Stirn gezogen. Der Regenmantel hing an ihm wie an einer
Vogelscheuche.
    Glas klirrte, als er eine
Bierflasche öffnete. Zischend entwich Kohlensäure. Er trank.
    Also doch ein Betrunkener,
dachte Tarzan. Und er hat noch nicht genug. Meinetwegen!
    Im selben Moment sah er den
andern.

2. Um Kette und Kragen
     
    Auch der kam von der Straße
her, die am Park entlangführte, aber dann an einem ausgetrockneten Flußbett
endete.
    Doch er torkelte nicht. Er kam auch
nicht einfach daher. Er schlich! Lautlos und geduckt huschte er heran. Er trug
weder Hut noch Mantel. Sein Haar schimmerte noch heller als Gabys prachtvolle
Mähne. Es mußte flachsiges Blond sein. Denn weißhaarig war der Bursche bestimmt
nicht. Die geschmeidigen Bewegungen gehörten einem jungen Mann.
    Hinterrücks näherte er sich dem
Trinker.
    Ganz rasch ging alles. Kaum daß
Tarzan eingreifen konnte.
    Als der Blonde die Faust hob,
wurde klar, was er beabsichtigte.
    „Vorsicht!“ schrie Tarzan.
    Mit langen Sätzen eilte er
hinter seinem Busch hervor.
    Dem Trinker fiel die Flasche
aus der Hand. Sie klirrte auf den Boden, zerbrach aber nicht, sondern rollte
Tarzan entgegen.

    Unglücklicherweise trat er
darauf. Um ein Haar — und er wäre der Länge nach in die Heckenrosen gesegelt.
Doch er reagierte wie ein geölter Blitz, fing sich und hechtete an der Bank
vorbei dem Blonden entgegen.
    Der war wie erstarrt, aber nur
für einen Moment. Er wollte kehrtmachen. Dazu reichte es nicht mehr. Tarzan,
immer noch stolpernd, prallte gegen ihn. Die Wucht warf den Blonden zu Boden.
Aber jetzt verlor auch Tarzan den Halt.
    Er verlängerte seinen Sturz zu
einer Judorolle, kugelte elegant über den noch dürftigen Rasen und stand wieder
auf den Füßen.
    Als er herumwirbelte, rannte
der Blonde an ihm vorbei. Tarzan griff zu, erwischte ein Stück vom hinteren
Hemdkragen und — das Kettchen, das der Kerl um den Hals trug.
    Knirschend zerriß der Stoff.
Mit einem Ruck ging das Kettchen entzwei.
    Der Blonde gab einen würgenden
Laut von sich. Unbeabsichtigt hatte Tarzan seinen Hals malträtiert (mißhandelt). Aber der Kerl rannte weiter, und Tarzan ließ ihn laufen. Denn der Trinker
war aufgesprungen und stolperte in den Weg.
    Tarzan hielt ein Stück Stoff
und ein Teil des Kettchens in der Hand.
    „Was, um Himmels willen, ist los?“
fragte der Mann.
    Seine Stimme klang kein bißchen
betrunken.
    „Sie haben es nicht bemerkt“,
sagte Tarzan.
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