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Der Schlangenmensch

Der Schlangenmensch

Titel: Der Schlangenmensch
Autoren: Stefan Wolf
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bewußt,
daß er den Mann nicht nach seinem Namen gefragt hatte.
    „Zu dumm, Herr Doktor. Ich weiß
den Namen des Überfallenen nicht. Und der Täter ist entwischt.“
    „Aber die Polizei wird alles bestätigen
können.“
    „Die Polizei wurde nicht
gerufen.“
    Hinter der Hornbrille begannen
Böcklers Augen zu glitzern. Unterhalb der Hornbrille zog ein Grinsen seinen
äffischen Mund in die Breite.
    „Also alles erstunken und
erlogen, weil du gebummelt hast. Weil du nicht bereit bist, dich einzuordnen.
Weil du Pünktlichkeit ablehnst. Carsten, das hat Folgen.“
    Jetzt wird der Giftzwerg in ihm
wach, dachte Tarzan.
    So lautete auch Böcklers
beziehungsvoller Spitzname. „Ich sage die Wahrheit, Herr Doktor. Bestimmt.“
    Tarzan berichtete. Aber Böckler
hörte kaum hin. Ihm war nur wichtig, daß er diesem Jungen eins auswischen
konnte. Sportliche, hochgewachsene Schüler schienen ihm verhaßt zu sein.
Allmählich sprach sich das rum. Dennoch — neben all den großartigen Lehrern der
Schule gab es auch diesen Herrn Dr. Böckler.
    „Scher dich auf dein Zimmer!“
zischte er jetzt durch die Zähne. „Deine Verlogenheit werde ich im Kollegium (die
Gesamtheit der Lehrer) zur Sprache bringen.“

    Tarzan wandte sich ab und
eilte, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe zum zweiten Stock hinauf.
    Dort wohnten die 12-14jährigen
Jungs. Mädchen gab es hier nicht. Als Heimschule war das Internat eine reine
Jungenschule. Mädchen konnten lediglich am Unterricht teilnehmen. Dadurch waren
die Klassen gemischt und die Umgangsformen etwas weniger rüde.
    Tarzan ging zu seiner Bude, dem
ADLERNEST. Alle Buden trugen Namen und wurden von drei bis sechs Schülern
bewohnt.
    Im ADLERNEST wohnten nur zwei:
Tarzan und Klößchen.
    Dessen Nachttischlampe brannte.
Daneben stapelten sich mehrere Tafeln Schokolade. Schokoladenkrümel hatten
Kopfkissen und Laken wirkungsvoll verziert.
    Klößchen lag lesend im Bett.
Der Halsverband war fast so dick wie sein Kopf.
    „Na, wie war’s?“ fragte er
heiser.
    „Toll. Alle haben dich vermißt.
Es gab Schinkenbrote, Leberwurstbrote, Salamibrote, Käsebrote, noch mehr Brote
und...“
    „Hör auf!“ krächzte Klößchen.
„Seit dem Abendessen lebe ich nur von Schokolade. Die lassen einen hier glatt
verhungern — selbst wenn man am Rande des Grabes wandelt.“
    „Ich befürchte“, meinte Tarzan
todernst, „du stehst schon mit einem Fuß drin. Hoffentlich überlebst du
wenigstens noch diese eine Nacht.“
    „Was?“ rief Klößchen. „Ich
fühle mich quietschfidel. Bin nur etwas heiser. Sehe ich etwa schlecht aus?“
    „Du siehst aus“, lachte Tarzan,
„wie jemand, der an einem Abend drei Tafeln Schokolade verspeist. Die
Halsentzündung ist sicherlich unter einer Kakaoschicht verschwunden.“
    Klößchen hieß natürlich nicht
Klößchen. Vielmehr war das der Spitzname für den 13jährigen Willi Säuerlich.
Klößchen nannte man ihn, weil er so aussah: klein, beträchtlich rund und immer
gemütlich. Sein Mopsgesicht verlor den freundlichen Ausdruck nur, wenn er
nichts zum Futtern bekam oder sich anstrengen sollte. Davon hielt er nicht viel
— um so mehr jedoch von Schokolade. Vielleicht lag das an seiner Herkunft. Sein
Vater war nämlich einer der bedeutendsten Schokoladenfabrikanten.
    Daß Klößchen im Internat
wohnte, wäre eigentlich nicht nötig gewesen. Er stammte aus der nahen
Großstadt. Sein Elternhaus stand dort im vornehmsten Villenviertel. Er hätte zu
Hause wohnen und hier den Unterricht besuchen können, doch er zog auch für den
Rest des Tages das Internatsleben vor. Nicht etwa, weil er sich mit seinen
Eltern nicht verstanden hätte. Das klappte prima. Und die Sauerlichs waren
liebevolle Eltern. Doch eines konnten sie ihm bei allem Reichtum nicht bieten:
eine interessante, abenteuerliche Jugend. Zu Hause hatte er sich gelangweilt.
Hier dagegen war immer was los. Besonders, wenn man zu Tarzans Freunden
gehörte. Da verging kaum eine Woche ohne Abenteuer. Die schien Tarzan
anzuziehen wie ein Magnet. In Wahrheit aber lag das an seinem Draufgängertum
und seiner Unternehmungslust.
    Nachdem er von der Party, von dem
Zwischenfall im Klostertaler Park und von dem Empfang durch Böckler erzählt
hatte, folgerte Klößchen messerscharf: „Der Giftzwerg will dir schaden. Dem
mußt du beweisen, daß der Überfall tatsächlich stattfand. Sonst ist nächsten
Samstag dein Ausgang gestrichen.“
    „Beweisen kann ich die Sache
nicht. Und was den Ausgang betrifft“, er grinste,
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